Ahrweiler – Teil I

oder: das Buch des Lebens

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Ahrweiler – Teil I

Ahrweiler – Teil I

Gero Hard

Unvorstellbare Einzelschicksale, Menschen ihrer Unterkünfte und Habseligkeiten von der Natur beraubt. Für mich dramatisch, einfach unfassbar. Ich war den Tränen nahe.

Wie versteinert stand ich mit offenem Mund auf einer Kreuzung und drehte mich langsam im Kreis.

Ich hatte mich dorthin gestellt, um mir einen ersten Überblick zu verschaffen. Aber es war unmöglich! Wohin ich auch schaute, überall Zerstörung, Chaos und unvorstellbares Leid.

Überall Menschen, die dreckverschmiert, scheinbar planlos umherirrten. Weinende Frauen und Kinder, verzweifelte Männer, denen nach vielen Stunden anstrengender Arbeit langsam aber sicher die Kraft ausging.

Auch nach Tagen waren noch nicht alle Angehörigen gefunden. Vermisst, vielleicht mit den Fluten fortgespült, oder unter meterdicken Schuttbergen begraben. Mir schossen die Tränen in die Augen. Wo um Himmelswillen sollte man hier anfangen? Wo war die größte Not oder wer brauchte die dringlichste Hilfe?

Ich schickte ein Stoßgebet in den Himmel und bat um Kraft. Auch dafür, die richtigen Entscheidungen zu treffen und das Richtige zu tun.

Der Leiter der örtlichen Feuerwehr kam zu mir, nahm seinen Helm ab und schüttelte mir die Hand zur Begrüßung.

„Euch schickt der Himmel!“, sagte er zu mir. Die Erschöpfung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

Die Pause, die sich durch unser Gespräch ergab, hatte er bitter nötig. Ganz sicher sahen seine Männer ähnlich müde und erschöpft aus, wenn nicht sogar noch schlimmer.

Sein Schutzanzug hatte seine ursprüngliche Farbe eingebüßt, verdreckt, teilweise eingerissen. Sogar die neongelben Leuchtstreifen waren an einigen Stellen kaum noch zu erkennen.

Der Einsatzleiter setzte sich auf einen alten Plastikkanister, der verbeult am Straßenrand lag und stützte sich mit den Ellenbogen auf seinen Knien ab. Mit beiden Händen fuhr er sich ein paarmal durchs Gesicht, so als würde er sich waschen. Dabei wollte er sich nur die Dreckbrocken von der Haut reiben, die auch seine Wimpern und Augenbrauen verklebten. Der Mann sah fürchterlich aus und ich wusste, spätestens morgen würden wir auch so aussehen.

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Subjektive Meinung

schreibt Thunders

"A cheap holiday in other peoples misery" sangen einst die Sex Pistols. Dieses Zitat kam mir ins Gedächtnis, während ich diese Geschichte las. Die Flutkatastrophe von Ahrweiler liegt noch kein Jahr zurück und ist in den Köpfen der Menschen noch präsent. Für meinen Geschmack taugt dieses Szenario nicht so recht für eine derartige Geschichte. Ich kann mir bildhaft vorstellen, wie es weitergeht mit dem potenten, heldenhaften Brandmeister und der hilflosen, jungen Frau, die er vor der Flut gerettet hat. Ich kann mit solchen dramatischen Liebes-Geschichten nichts anfangen, aber das ist mein persönliches Problem. Sehr gut geschrieben zweifellos. Von daher keine bösartige Kritik, sondern nur meine rein persönlichen Empfindungen.

Ahrweiler

schreibt franzl

Die Katastrophe von Ahrweiler, uns noch heute in unguter Erinnerung, die vielen Menschen großes Leid zugefügt hatte, darüber hinaus aber auch zahllose Beispiele menschlichen Mutes und Selbstaufopferung zeigte. Schon für dieses erste Kapitel einer zutiefst bewegenden Geschichte, ist dem Autor zu danken. Er versteht es wie nur wenige Autoren, damit die Seelen der Leser anzusprechen, sie einzubeziehen in diese Geschehnisse und uns mit wahrer Dramen-Qualität zu beschenken. Liebe Grüße Frajol.👍🍀

Gedichte auf den Leib geschrieben