„O.k.! Wenn du es wirklich willst? Bist du dir da auch sicher?“, sie nickte nur. „Ich war auf dem Weg zu meinem Zelt und hatte gerade mit meinem Mitarbeiter telefoniert, als ich dein Klopfen hörte. Ein Hundeführer mit seinem Rettungshund standen vor einem großen Haufen Schutt. Der Hund schnüffelte, wurde unruhig und schlug an, dann hörte ich das Klopfen nochmal. Der Mann und ich begannen uns einen Zugang zu räumen und dann sahen wir den ersten Hohlraum. Dort fand ich deinen Sohn. Und dann hast du nochmal geklopft. Da wusste ich, wo ich dich suchen musste. Den Rest kennst du ja.“
„Ich danke dir.“
„Wofür?“
„Ich muss ein fürchterlicher Anblick gewesen sein. Das Bein, der Dreck, die Wunden … und …!“
Sie stockte und lief knallrot an. Ihr Blick senkte sich und blieb in ihrem Schoß hängen.
„Und?“, fragte ich sie auffordernd.
„Es muss da doch übel gestunken haben. Ich meine, weil ich doch in die Hose gemacht hatte.“
„Das hat mir nichts ausgemacht. Du hattest schließlich keine Wahl.“
„Und Todesangst hatte ich! Flo, kannst du dir das vorstellen, was ich für eine scheiss Angst hatte?“
„Ja, das kann ich. Mir war schon mulmig zumute, als ich in den Hohlraum gekrochen bin. Und darin ein paar Tage eingeklemmt zu sein, muss die Hölle gewesen sein.“
Für einen Moment sahen wir uns nur an. Es war eine bedrückende Stille. Jeder von uns wusste oder ahnte wenigstens, was im Kopf des anderen vorging.
„Flo, ich kann das nicht.“
„Was kannst du nicht, Imke?“
„Ich kann nicht wieder mit dir zusammenkommen. Wir können nicht wieder ein Paar sein. Nicht, nachdem was passiert ist.“
„Wie kommst du denn jetzt auf sowas?“
„Weil du mich mitnehmen willst. Deshalb. Du willst mich von meiner Familie wegreißen.
Ich war damals sehr verletzt, als es mit uns nicht funktionierte. Es hat mir weh getan, dass dir der Beruf und die Feuerwehr wichtiger waren als ich. Ich konnte es nicht ertragen, dass wir uns immer wieder über den Weg gelaufen sind. Es war eine Flucht vor dir, als ich nach Ahrweiler gegangen bin. Ich habe hier meine Ausbildung zur Bürokauffrau gemacht. Und dann habe ich Markus kennengelernt. Er war richtig süß zu mir, hat sich viel Mühe gegeben, um bei mir zu landen. Es war perfekt, bis zu dem Abend nach der Party. Du weißt schon…
Er wollte, dass ich es wegmachen ließ. Aber so etwas kam für mich nicht in Frage. Ja, es war das Kind eines Verbrechers, aber es trug auch meine Gene in sich. Nachdem ich die Entscheidung unumstößlich getroffen hatte, änderte sich Markus mir gegenüber. Ich glaube sogar, dass er eine Geliebte hatte. Naja, den Rest habe ich dir schon erzählt. Verstehst du, sie sind hier begraben. Sie sind meine Familie. Ich kann nicht einfach so zur Tagesordnung
übergehen und so tun, als wäre nichts geschehen. Ich brauche diesen Ort zum Trauern.“
„Wie ich schon sagte, es ist deine Entscheidung und ich verstehe dich. Du kannst kommen, wann immer du willst.
Danke, dass du so ehrlich zu mir bist. Jetzt wird mir einiges klar.
Du hast recht, ich habe mich in meine Arbeit gestürzt. Heute habe ich ein gutgehendes Atelier für Grafikdesign. Wir machen viel im Bereich Werbung. Und bei der Feuerwehr bin ich mittlerweile Gemeindebrandmeister und habe
Verantwortung übernommen.
Ich war damals blind und dachte, die Welt hat nur auf mich gewartet. Ich war egoistisch und der Meinung, die Frauen an meiner Seite sollten doch gefälligst stolz auf mich sein und würden sich meinem Lebensstil schon anpassen. Allerdings brauchte ich ein paar Jahre, bis ich das erkannte. Ich hielt die Frauen um mich herum für gleichgültig und kaum reif genug für eine Beziehung. Du sollst aber wissen, dass ich nach dir, bis heute, keine feste Beziehung mehr hatte. Ich verglich die Frauen immer unterschwellig mit dir, aber keine war wie du. Imke, ich möchte dich als gute Freundin zurückhaben und nicht als die Frau an meiner Seite.“
„Du magst mich nicht mehr?“, fiel sie mir ins Wort
„Doch, ich mag dich immer noch. Ich habe dich oft vermisst.“ Ihre Augen waren feucht und auch meine Stimme war etwas brüchig geworden.
„Maus, hast du hier jemanden, wo du unterkommen kannst? Der dich betreut? Sich um dich kümmert, damit du in Ruhe dein Bein auskurieren kannst?“
„Bitte hör auf mich ‚Maus‘ zu nennen, ok?“
„Du nennst mich doch auch noch ‚Flo‘, genau wie früher. Da dachte ich …!“
„Nicht denken. Wenn ich das nicht mehr darf, dann lass ich es eben.“
„Ne, ne, schon gut. Es stört mich nicht.“
Ich bekam eine Adresse von ihr. Dort sollte ich nach einer Susanne Weber fragen. Und ich sollte nachsehen, ob das Haus noch bewohnbar war. Imke war sich ziemlich sicher, dass die Wassermassen nicht bis zu dieser Adresse gekommen sein konnten, weil das Haus etwas erhöht am Stadtrand gebaut war.
Für diesen Tag hatten wir uns wohl nichts mehr zu sagen. Die Stimmung war leicht unterkühlt. Sie hatte mittlerweile auch meine Hand losgelassen, die sie nach meiner Umarmung genommen und bis vor wenigen Augenblicken nicht mehr hergegeben hatte. Kein böses Wort war zwischen uns gefallen, sondern wir hatten nur unsere unterschiedlichen Standpunkte dargelegt. Und trotzdem hatte das Gespräch einen bitteren Beigeschmack bei mir hinterlassen.
„Ich muss los.“, log ich sie an, nur um mich aus dieser Situation herauszunehmen. „Ich gehe bei deiner Freundin vorbei und spreche mit ihr. Und wenn was ist, hier ist meine Karte. Du kannst mich 24/7 anrufen.“
Sie sah sich die Karte an und nickte: „Danke.“ Natürlich spürte sie genauso wie ich, dass die Stimmung gekippt war. Vermutlich fragte sie deshalb nicht, ob ich den nächsten Tag wiederkommen würde. Und ihr „mach‘s gut“ klang, als würde sie auch nicht damit rechnen.
****
Am nächsten Tag ging ich zu der Adresse, die Imke mir genannt hatte. Susanne Weber schaute mich skeptisch an, als sie die Haustür öffnete. Aber als ich mich als ein Freund von Imke vorstellte, entspannte sie sich wieder.Susanne war ein kleines Pummelchen. Ich schätzte sie auf gedrungene 110Kg bei einer Größe von 1,60m. An ihr war nichts Festes mehr. Ihr Busen hatte sich gemütlich der Schwerkraft folgend auf ihre Speckrollen vom Bauch gelegt und ihr Hintern schwabbelte in einer zu großen Jogginghose beim Gehen hin und her.
Imke und Susanne hatten sich kennengelernt, als sie ihre Kinder in den Kindergarten brachten. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass es jemanden gäbe, der diese Frau freiwillig vögeln würde. Mir jedenfalls wäre eher das Sperma geronnen, als dass ich es in diesen unschönen Körper gepumpt hätte.
Sie machte einen Kaffee und hörte sich an, was ich ihr über ihre Freundin zu berichten hatte. Sie wusste bislang nicht, dass Imke schlagartig Mann und Kind verloren hatte. Selbstverständlich stellte es für sie kein Problem da, ein Gästezimmer zur Verfügung zu stellen und Imkes Pflege zu übernehmen.
Mir war das genug Information und es gab keinen weiteren Grund, länger als nötig in dieser Behausung zu bleiben.
Susanne wollte noch wissen, wo sie Imke finden konnte, dann verschwand ich.
Kapitel 5
Die letzte Woche unseres Einsatzes war angebrochen. Ich suchte förmlich nach Arbeit, übernahm freiwillig Doppelschichten, nur um nicht zu Imke ins Krankenhaus fahren zu können. Einerseits half es mir wieder Distanz zu ihr aufzubauen, aber andererseits machte es mich traurig.
In meiner Brust schlugen zwei Herzen. Eines hätte vermutlich genau wie sie entschieden und wäre hiergeblieben. Hätte einen Neuanfang gewagt, auch wenn das bedeutete, ganz von vorne anzufangen.
Das andere mochte sie sehr. Sie war in unserer gemeinsamen Zeit so etwas wie eine Seelenverwandte. Ich erwähnte ja schon, wie eng wir verbunden waren. Und ich hätte sie sehr gern wieder um mich gehabt. Nur zu gern wäre ich derjenige gewesen, der sie aufgefangen und beim Neuanfang unterstützt hätte.
Ich konnte sie mir sogar auf einer Gartenliege in meinem Garten vorstellen, wo sie nur mit einem Bikini bekleidet und dem Gips am Bein, die Sonne genoss.
Wäre ich damals nicht so dumm gewesen, dann könnte sie heute meine Frau sein und unsere gemeinsamen Kinder großziehen. Aber so ist das mit dem Buch des Lebens und seinen Prüfungen, die es für uns bereithält.
Vier Tage war ich nicht bei Imke gewesen und mich plagte das schlechte Gewissen. Sicher hatte Susanne längst bei ihr vorbeigeschaut und sie hatten die Feinheiten für die Zeit nach dem Krankenhaus im Detail besprochen.
Ich überlegte sogar, ob ich überhaupt nochmal ins Krankenhaus gehen sollte. Aber ein persönlicher Abschied und ein paar abschließende Worte waren das Mindeste an Anstand, was ich ihr zukommen lassen wollte.
Und natürlich passierte das, was man umgangssprachlich ‚Murphy’s Law‘ nannte. Susanne stand neben dem leicht nach
oben gestellten Krankenbett, als ich den Raum betrat. Eben noch hörte ich lautes Lachen, das jetzt wie auf Knopfdruck abgeschaltet, verstummte. Ich hatte das Gefühl zu stören und hätte am liebsten auf den Hacken wieder kehrt gemacht.
„Sorry, ich will gar nicht lange stören, wollte mich nur kurz verabschieden.“, brachte ich eher stockend hervor.
„Flo, du störst doch nicht, wie kommst du darauf?“
„Ach nur so.“, sagte ich knapp.
Susanne versuchte sich in den Stuhl zu setzen. Aber der Abstand der Armlehnen bot nicht genügend Platz für ihr ausladendes Becken. Sie blickte kurz zu uns, um zu prüfen, ob wir ihr kleines Malheur bemerkt hatten.
Wir hatten und sie wurde leicht rot, als ihr das klar wurde. Beschämt und sichtlich peinlich berührt, stellte sie sich etwas abseits ans Fenster.
„Wieso willst du dich denn verabschieden, werdet ihr abgelöst?“
„Nicht direkt abgelöst. Unsere Zeit hier ist einfach abgelaufen und meine Leute müssen wieder nach Hause.“
„Ja, aber du doch nicht! Du bist doch selbstständig. Kannst du nicht noch bleiben?“
„Imke, ich halte das für keine gute Idee. Du hast klar gesagt, dass dein Platz hier ist. Das ist deine Entscheidung und die akzeptiere ich natürlich. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich dich gerne mit zurückgenommen hätte. Deshalb werde ich übermorgen fahren und du wirst bei Susanne bleiben können.“
„Aber … Flo, ich … ich werde dich vermissen.“ Ihre letzten Worte waren ganz leise, so als wären sie nicht für mich, sondern eher an sich selbst gerichtet gewesen. Sie waren wie ein Flüstern und dennoch hatte ich sie verstanden. Sie sprach damit aus, was auch mir im Kopf rumging.
„Imke … ich wünschte, wir hätten uns unter anderen Umständen wiedergetroffen. Und ja, ich werde dich auch vermissen. Ich kann nicht bleiben, mein Leben ist in meinem Haus, in meinem Büro und deines ist anscheinend hier.
Wenn ich dir irgendwie helfen kann, ruf mich einfach an! Ich werde dann so schnell wie möglich hier sein, das verspreche ich dir! Ich kann dich mit Geld und Gütern unterstützen oder du kannst jederzeit zu mir kommen. Ich werde immer einen Platz für dich haben. Auch in meinem Herzen, Imke!“
Sie schüttelte leicht den Kopf. „Nein, bitte ...!“ Sie drückte meine Hände und sah mich an. Mit ihrer Zunge versuchte sie die Tränen zu erwischen, die ihr über die Wangen liefen. „Dann lass mich dir wenigstens einen Kuss geben. Als Dank für die Rettung und dass du da warst.“
Ich beugte mich zu ihr herunter. Als sich unsere Lippen trafen, war es wie ein Stromstoß, der mich durchzuckte.
Sie zog mich fest an sich, so, dass ich ihre weichen Hügel mit den Brustwarzen spüren musste. Sie spielte mit ihrer Zunge an meinen Lippen. Damit hatte ich nicht gerechnet, aber ich gewährte ihr Einlass.
Dann legte sie ihre Hand hinter meinen Kopf und streichelte meinen Nacken. Es wurde ein langer Kuss, sinnlich, liebevoll und erotisch.„Vergiss es bitte nicht, Imke! Jederzeit, Tag und Nacht. Ich würde mich sehr freuen, wenn unser Kontakt nicht wieder völlig abbrechen würde. Alles wird wieder gut, die Zeit heilt die Wunden.“
Ein letztes Mal strich ich ihr die Haare aus der Stirn und küsste sie sanft auf die Nasenspitze. „Mach‘s gut, Maus.“
Dann drehte ich mich um und verließ das Krankenzimmer ohne mich noch einmal umzudrehen. Ich konnte es einfach nicht! Mir liefen die Tränen und ich wollte nicht, dass sie es sah. Gleichzeitig wollte ich aber auch nicht ihr verheultes Gesicht als das Letzte in Erinnerung behalten, was ich von ihr gesehen hatte.
Ich stand vor der Zimmertür und hörte sie schluchzen, das reichte aus, um mir einen Stich ins Herz zu versetzen. Nachdem ich mich von ihr verabschiedet hatte, ließ ich ihr keine Chance, sich auch von mir zu verabschieden. Mit dem innigen Kuss, den ich von ihr bekam, hatte sie alles ausgedrückt, was es auszudrücken gab.
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