Ahrweiler – Teil II

oder: das Buch des Lebens

76 20-31 Minuten 1 Kommentar
Ahrweiler – Teil II

Ahrweiler – Teil II

Gero Hard

Sie zitterte.

Der Pastor redete und sie weinte. Erst ganz wenig, dann stärker. Ich dachte zuerst, es wäre, weil sie gerade den Verlust ihrer Familie mitgeteilt bekam und man ihr tröstliche Worte zusprach.

Ihr Blick ruhte auf meinem Gesicht. Ihre Augen bewegten sich und tasteten jeden Zentimeter meiner Haut ab.

Das der Mann im Talar seine Hände beruhigend auf ihre gelegt hatte und versuchte, ihr die schlechten Nachrichten so behutsam wie möglich zu überbringen, davon bekam Imke nichts mit. So, als wäre der Pfarrer gar nicht im Raum, sah sie an ihm vorbei und sagte: „Bist du es wirklich? Kneif mich mal!“

„Ich brauche dich nicht zu kneifen. Ich würde dich jetzt viel lieber fest in den Arm nehmen.“

„Ja, das würde ich gut finden. Was machst du hier?“

„Ich kümmere mich um dich.“

„Wieso?“

„Weil ich dich gerettet habe.“

„Gerettet? Woraus?“

„Aus einem Trümmerhaufen. Du warst verschüttet.“

„Ich?“

„Ja du! Dein Mann und dein Sohn auch.“

„Du spinnst. Jetzt mal ehrlich. Ich freue mich ja dich zu sehen, aber was machst du wirklich hier?“

„O.k., Imke, du musst jetzt ganz stark sein. Es gab ein fürchterliches Hochwasser in Ahrweiler. Die Stadt ist an vielen Stellen dem Erdboden gleich gemacht. Häuser sind eingestürzt, Straßen kaputt und fast alles war überflutet. Ganz viele mussten sich in die oberen Stockwerke ihrer Häuser flüchten, um nicht fortgespült zu werden. Du und deine Familie hatten leider nicht so viel Glück.“

„Was ist mit Markus und Lennart?“

„Sie haben es unter den Trümmern leider nicht geschafft. Du hast sie verloren und deshalb ist auch der Pastor hier.“

Ihr Blick, der eben noch weich und voller Leben war, wurde starr und kalt. Bewegungslos fokussierte sie ein Bild an der Wand. Ihr Hände krallten sich in die Bettdecke. Dann begann sie hysterisch zu schreien, trommelte mit ihren Fäusten auf das Bett. Verfluchte den lieben Gott und schrie ihn an, wieso er ihr das angetan hätte.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 6135

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Ahrweiler

schreibt franzl

Kann man diese tragische Entwicklung noch ergreifender, bewegender beschreiben? Ich denke, nein. Der Autor hat es verstanden, uns dieses schreckliche Ereignis mit seinem Beitrag angesichts der schnelllebigen Zeit wieder in Erinnerung zu rufen. Dafür gebührt ihm Dank. Frajol.

Gedichte auf den Leib geschrieben