Die Anwohner hatten genug eigene Probleme, als dass sie sich noch mit fremden Grabstellen eine zusätzliche Bürde auferlegen konnten.
Auf den Gräbern, auf denen sich jede Menge Unkraut ausgebreitet hatte, erinnerten nur kleine Holzkreuze mit dem Namen Lennart Wahlers, bzw. Markus Wahlers an die Verstorbenen.Imke stand mit ihrem Rolli am Grab ihres Sohnes. Ich hatte sie neben das Kreuz gefahren. Sie zog es aus der Erde undküsste es lange. Mit gebrochener Stimme flüsterte sie: „Ruhe in Frieden, mein geliebter Sohn, mein kleiner Schatz. Sei deinem Papa nicht so böse, er konnte nicht anders. Schade, dass du den Flo nicht mehr kennenlernen durftest. Ihr hättet euch bestimmt gemocht. Ich werde dich so vermissen, Lenni. Ich hätte gerne noch so viel mit dir erlebt. Ich werde dich niemals vergessen. Niemals, hörst du!“ Dann steckte sie das Kreuz zurück in den Boden.
Am Grab ihres Mannes murmelte sie nur: „Markus, ich weiß, er war nicht dein leiblicher Sohn. Aber bitte pass weiter auf ihn auf, er ist doch noch so klein.“ Maria und Werner hatten sich neben ihre Tochter gestellt. Maria hielt die Hände ihrer Tochter und Werner hatte seine Hand auf ihre Schulter gelegt.
Ich glaube, das war der Moment als Imke endgültig realisierte, dass ihr wirklich nichts geblieben war. Wir ließen ihr den Moment der Trauer. Sie war in Gedanken versunken und später hörten wir sie ein leises Gebet sprechen.„Ich möchte hier weg!“, sagte Imke dann plötzlich. „Weg vom Friedhof!“ „Nur vom Friedhof?“, fragte Werner.„Ja. Nur vom Friedhof. Hier liegt meine Familie, ich kann sie nicht allein lassen.“
„Aber Kind, hier ist dir nichts geblieben, komm doch mit uns nach Hause.“, flehte Maria ihre Tochter an.Imke schüttelte nur mit dem Kopf. Auch, dass ich sie an mein Angebot erinnerte, konnte sie nicht umstimmen. Sie wollte nicht. Entsprechend enttäuscht fiel die Verabschiedung aus, als wir sie in Susannes Müllhalde zurücklassen mussten.
Imke war das Thema des Abends, als ich mit ihren Eltern im Hotelrestaurant saß und wir bei einem leckeren Essen mit einem Glas Rotwein den Abend ausklingen ließen. Für mich war es im Grunde wie schon beim letzten Abschied von Imke. Ihre Eltern waren, wie ich, zwiegespalten. Einerseits konnten wir ihre Einstellung verstehen, weil sie konsequent war. Aber sie war eben auch ein großes Stück unvernünftig.Wir verabredeten uns zum Frühstück, um dann rechtzeitig den Rückweg anzutreten und unsere gemeinsame Mission für gescheitert zu erklären.
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Die Dusche im Hotelzimmer half mir, meinen Kopf ein wenig freizumachen und der Wein beim Abendessen, sorgte für die nötige Bettschwere. Ich freute mich darauf, in die dicke Decke eingekuschelt, zu entspannen.
Ich drehte mich auf die Seite und schloss die Augen. Während ich damit beschäftigt war, Schafe zu zählen, begann mein Hirn an Imke zu denken.
Tolle Schreibe! Mach bitte weiter so!
schreibt Hansch