Alessia arbeitete im Buchhandel. Sie hatte sich die aus ihrer Sicht interessanteste Buchhandlung der Stadt ausgesucht, ein Gebäude mit ungezählten Winkeln, Nebentreppen, Wendeltreppen, kleinen Fensterscheiben und endlosen Reihen von Büchern, die gekauft und gelesen werden wollten. Wer in der Buchhandlung „Gaudeamus“ arbeitete, hatte das Glück, dies im Rotationsprinzip tun zu dürfen. In der einen Woche ging es um das Sortiment im English Bookshop, in der nächsten um die Comic-Abteilung, in der übernächsten um den grössten Verkaufsraum, den Raum mit der Belletristik. Dort wurde man von Abiturient:innen bestürmt, die sich rund um ihre Pflichtliteratur schlau machen wollten. Alessia war, wie bereits gesagt, eine hübsche, zierliche Frau, die sich schon fast gar tänzerisch an die Kund:innen heranpirschte, ohne aufdringlich zu wirken. Sie wirkte derart offen, dass es den Kunden nie schwer fiel, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Ob sie nun Schätzing suchten, oder Fitzek, oder Sarah Pearse – Alessia hatte immer eine Antwort bereit und wusste dank ihres fotografischen Gedächtnisses genau, wo was zu finden war. Natürlich entging es ihr nicht, wie gerade ältere Herren ihre Figur taxierten, Alessias zierliche Figur, die in den klein geblümten Kleidern, die sie meistens trug, alle hypnotisierte, denen der Sinn nach frisch aussehenden, etwas unsicheren und doch im Leben stehenden Frauen stand. Bis zur silbernen Haarspange war Alessia ein Magnet.
Das war auch dem Chef der „Gaudeamus“ Buchhandlung nicht entgangen. Herr Galenz war ein veritabler Chef, und er war ein veritabler Geniesser. Zum Chef sein gehört diese gewisse natürliche Autorität, über die Galenz, und das war sein Schicksal, nicht verfügte. Er war kleinwüchsig. Zeit seines Lebens beeinträchtigt, hatte er zu den Schülern gehört, die man in den Besenschrank schloss, über Nacht, und die keiner vermisste.
Alessia wird um den Verstand gebumst
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Alessia wird um den Verstand gebumst
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Prickelnde Geschichte
schreibt raffy