Anderthalb Tage eines alten Mannes

5 14-23 Minuten 0 Kommentare
Anderthalb Tage eines alten Mannes

Anderthalb Tage eines alten Mannes

Phillipp Marburg

Eine Kurzgeschichte von etwa 5000 Worten, für das Internet.

Von der Innenbehörde hatte ich einen Brief erhalten: „ … Sie haben als Führer Ihres Personenkraftwagens … die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten. … € 50,- …“
Das war am Vormittag gewesen und sollte am nächsten Tag überwiesen werden.
In der Nacht träumte ich, ich ginge mit dem Brief zur nächsten Revierwache, um den Betrag in bar zu zahlen. Die Wache war so, wie ich sie vor 40 Jahren kennen gelernt hatte: Das Publikum stand mit dem Blick zur Fensterseite hinter einem etwa brusthohen Tresen, der oben mit einer Schreibfläche abgeschlossen war. Auf der hellen Seite des Tresen saßen die Beamten des Reviers an Tischen. Beim Eintreten fiel mir dort der Kopf einer jungen Frau auf. Sie hatte wunderschönes langes braunes Haar und beugte sich über ihre Akten. Ich trat zu ihr heran und auf ihre kaum hörbare aber doch freundliche Frage nach meinen Wünschen gab ich ihr wortlos den Brief von der Innenbehörde. Sie las ihn flüchtig, und noch während sie ihn las, sprach sie mich an: „ Mit Ihrem Einverständnis können wir die Ordnungswidrigkeit auch durch eine Körperstrafe ahnden“. Ich schluckte und bekam Herzklopfen. Die Vorliebe zum Rohrstock hatte mir vermutlich meine Mutter vererbt und rechtzeitig geweckt. Aber mit weiteren Betrachtungen kam ich nicht voran, denn das Herz schlug mir bis zum Halse, und das musste die junge Frau gehört haben, denn sie las mir vor:“ Bei € 50,- sind das ein Dutzend Hiebe in klassischer Manier mit einem Rohrstock oder Rattanstock.“ Ohne nachzudenken, fragte ich, ob ich denn diese Abreibung gleich erhalten könne und von wem. „ Ja“, und „ von mir“ sagte sie. Damit warf sie ihren schönen Kopf mit dem braunen Haar zurück und strahlte mich an. „ Komm, sei kein Frosch. Das ist zwar kein Kinderspiel, aber Du überlebst es.“ Damit fasste sie mich über den Tresen hinweg an der Hand und führte mich zu einer grauen Stahltür am jenseitigen Ende des Raumes.

Wir standen in einem kleinen Flur und folgten seinen wenigen Stufen in einen im Souterrain gelegenen Raum von etwa 25 Quadratmetern Größe und drei Metern Höhe. Seine Fenster auf der linken Seite reichten bis zum Boden und die helle Vormittagssonne füllte ihn. Der Boden war mit weißen glasierten Tonfliesen belegt. Genau in der Mitte war eine kreisrunde etwa einen halben Meter große Fläche mit braunroten unglasierten Fliesen. Sie erinnerte mich an den Schuldstein bei den Benediktinern in Beuron

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 9501

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben