Ich liege neben Anna, in einem großen Doppelbett. Wir werden heute Nachmittag tun, was wir schon so oft taten. Anna und ich. Doch eine innere Stimme sagt mir, dass wir es zum letzten Mal tun werden. (Obgleich es mir wie das erste Mal vorkommt) Meine innere Stimme flüstert mir aufdringlich zu, dass ich nicht hierher gehöre. Ich bin ein Fremdkörper in diesem Zimmer, das mir so vertraut erscheint.Wir liegen nebeneinander im Bett. Anna und ich. So als würden wir einander nicht kennen. Als wären wir Fremde, die rein zufällig nackt nebeneinander liegen, Zigaretten rauchen und sich gegenseitig weitgehend ignorieren.
Die erste Zigarette vor dem Sex schmeckt bitter und will nicht enden. Schließlich erlischt die Glut und ich stecke den Glimmstengel in eine Zigarettenpackung, nachdem Anna`s Feuerzeug meiner Zigarette das letzte Feuer zu rauben schien.
Ich steige rückwärts aus dem Bett und taumel erleichtert in`s angrenzende Badezimmer, rückwärts gehend, ohne Anna`s leicht geröteten, verschwitzten Körper aus dem Blick zu verlieren. Im Badezimmer angekommen, schalte ich das Licht ein und betrachte mein Gesicht im Spiegel. Ich bin eindeutig nicht der Kerl, der auf den Fotos zu sehen ist, die überall im Zimmer herumliegen. Fotos, auf denen Anna zusammen mit einem Mann zu sehen ist, mit dem sie offenbar glücklich ist. Wer ist dieser Kerl? Und wer bin ich? Warum ist Anna mit mir zusammen, wo sie doch vor jeder geschlechtlichen Vereinigung mit mir so unendlich traurig scheint?
Ich entdecke ein Hygienetuch, das zerknüllt und mit Lippenstift verschmiert am Rande des Waschbeckens liegt. Ich nehme mir das Tuch und reibe mir die rote Farbe auf meine Lippen, bis mein Mund grotesk mit Lippenstift verschmiert ist. Dann stecke ich das Hygienetuch in die Vorrats-Box.
Ich drücke die Klospülung. Ein benütztes Kondom wird hochgeschwemmt. Routiniert nehme ich mir das mit Sperma gefüllte Kondom aus der Kloschüssel und stülpe es mir über meinen inzwischen erigierten Penis. Rückwärts gehend verlasse ich das Badezimmer, mit einem idiotischen, schiefen Grinsen im Gesicht. Wohl wissend, welche Freuden jetzt gleich auf mich zukommen werden. Diese innere Stimme sagt es mir. Die innere Stimme, die mich auf all das hier vorbereitet und die doch irgendwie gegen die Chronologie der Ereignisse anzukämpfen scheint.
Ich komme, rückwärts gehend, auf das große Doppelbett zu, in dem Anna liegt. Sie steckt eine erloschene Zigarette in die Packung zurück. Ich lasse mich rückwärts auf`s Bett fallen und wälze mich träge zu Anna herüber. Wir haben plötzlich und unvermittelt Sex. Ohne Vorspiel. Ohne Küsse. Keine sanften Berührungen. Kein Wort der Leidenschaft. Wir rammeln wie Maschinen, die man plötzlich eingeschaltet hat. Mein Penis saugt das Sperma aus dem benützten Kondom, das zufällig passt, wie angegossen. Der Orgasmus kommt ganz plötzlich über mich. Wie ein Knall, der leise in jeder Faser meines Körpers verhallt, bis nur noch leise Erregung übrigbleibt. Anna bekommt ihren Orgasmus. Sie saugt dabei so hastig Luft ein, rythmisch, als hätte sie einen epileptischen Anfall. In einer seltsamen, mir fremden Sprache flüstert sie mir Worte zu, die offenbar den Rythmus meiner Stöße kontrollieren sollen. Wie satanische Befehle klingen Anna`s fremd und bedrohlich klingende Wortfetzen: "RELLENHCS, RELLENHCS, REFEIT, AAAAJ". Wozu will Anna jetzt noch die Kontrolle über meinen Körper erlangen? Sie hatte ihren Orgasmus doch schon.
Während ich auf Anna liege, greife ich plötzlich zu einer gerahmten Fotografie herüber, die umgedreht auf dem Nachttisch steht. Ich drehe das Foto herum, obwohl ich von irgendwoher weiß, was ich auf dem Foto zu sehen kriege. Anna und irgend so ein Kerl, engumschlungen die beiden, offenbar glücklich, lachen mir entgegen. Plötzlich überkommt mich ein bitteres Gefühl. Habe ich ein schlechtes Gewissen?
Ich verlangsame stetig den Rythmus meiner roboterhaften Bewegungen, bis ich schließlich nur noch sabbernd und küssend und hastig atmend auf Anna liege. Zwischen ihren Beinen, die ihren Klammergriff um meine Hüften lockern, so dass sich mein Atem jetzt beruhigt. Die langen, scharfen Absätze ihrer Schuhe, die sie beim Sex stets anbehält, fahren nervös und aggressiv an meinen Schenkel entlang, die dadurch allmählich nicht mehr schmerzen. Sie zieht meinen Penis aus sich heraus. Schmollt sie etwa? Warum beißt sie mir in meine Unterlippe? Habe ich etwas falsch gemacht? Nein. Ich glaube nicht. Sie küßt mich. Forschend, suchend wandert ihre Zunge in meiner Mundhöhle umher. Aber Anna`s Küsse werden zaghafter und enden mit der zaghaften Berührung unserer Lippen, die von der Küsserei geheilt scheinen und nun nicht mehr wund und zerbissen sind. Ich knete noch ein wenig an Anna`s Brüsten herum. Solange bis diese zarten, drallen Zwillinge nicht mehr gerötet sind und Anna`s Brustwarzen sich entspannt haben. Zuletzt fahre ich durch Anna`s langes, dunkles Haar und ordne es. Ich lasse unser Liebesspiel damit ausklingen.
Was jetzt geschieht, kommt mir etwas albern vor. Wir grabschen nach den Kleidungsstücken, die überall wild verstreut um uns herum liegen und: wir ziehen uns gegenseitig an. Hastig stopfe ich Anna`s Brüste in einen BH, dessen Verschluß ich mit zitternden Fingern schließe. Anna kann es kaum erwarten, endlich meinen erigierten Penis in meinen Designer-Slip zu fummeln. Ich rupfe und zerre Anna`s feuchten Slip an ihren Beinen hoch, bis dieses delikate Kleidungsstück endlich Anna`s drallen Hintern bändigt. Nicht weniger leidenschaftlich stopfen wir uns gegenseitig in Hemd und Hose, Rock und Bluse, bis wir schließlich vollständig bekleidet sind. Wir küssen uns nochmal. Leidenschaftlicher als vor dem Sex.
Jetzt setzen wir uns wie frisch Verliebte auf den Rand des Bettes, das durch unser Liebesspiel geordnet und gereinigt wurde. Haben wir uns beim Ficken ineinander verknallt? Wir gehen plötzlich zärtlicher miteinander um. Die Aggression unseres Sex ist einem zärtlichen, verstohlenem Flüstern gewichen. Zärtliche Berührungen, die unsere Geilheit stetig abklingen läßt. Und was wir beide für Unsinn reden. Auch ich rede jetzt in einer seltsamen Sprache, die ich nichtmal verstehe. Anna flüstert mir seltsame Worte zu, die, obgleich ich sie nicht verstehe, meine Stimmung grundlegend ändert.
Wir gehen zu einem seltsamen Ritual über. Anna spuckt etwas klare Flüssigkeit in ein Glas und beginnt daraufhin etwas aus ihrem Innersten hochzuwürgen. Sie lacht plötzlich und streckt mir ihre Zunge entgegen. Auf ihrer Zungenspitze liegt ein Ehering. Na, so eine Überraschung. Anna ist offenbar verheiratet. Wieso hat sie das vor mir geheimgehalten? Die innere Stimme überzeugt mich davon, dass ich doch nie Probleme damit hatte, verheiratete Frauen zu bumsen. Wieso nimmt mir der Anblick des Eherings jegliche Erregung?
Ich nehme Anna den Ehering von der Zunge in der Absicht, ihr den Ring an den Finger zu stecken. Anna`s Ringfinger ist irgendwie feucht und glitschig. Der Ring würde zu leicht auf ihren Finger gleiten. Also streiche ich ihr diese seltsame Feuchtigkeit vom Finger, greife ihr in`s Höschen und schmiere ihr das sekretartige Zeugs an ihre Klitoris. Das erscheint mir zwar irgendwie unlogisch. Aber Verliebte tun sich ja bekanntlich mit dem logischen Denken schwer. Anna`s Ehering läßt sich jetzt auch nur schwer auf ihren trockenen Finger stecken und zugleich erscheint es mir, als würde der Ring von ihrem Finger magisch angezogen. Ich streite mit meiner inneren Stimme. Was soll das Ritual mit dem Ehering mir sagen? Fällt es mir schwer, Anna an ihren Ehemann abzutreten?
Anna küßt mich leidenschaftlich zur Tür hinaus. Sie wird mich mit ihrem Ehemann betrügen. Ich bin geläutert. Rückwärts gehe ich in mein Leben zurück, bis ich mich irgendwie unschuldig fühle.
Anna und ich. Wir treffen uns dann noch irgendwann in einem Cafe, wo sie mich mit ihren körperlichen Reizen lockt, obwohl unsere Beziehung doch beendet schien. Verstohlen fingere ich ein Stück Papier aus meiner Hosentasche. Ich gebe ihr den kleinen Zettel, auf dem ihre Adresse steht. Wie von Zauberhand löscht sie mit einem Kugelschreiber die Tinte vom Papier. Wahrscheinlich, um keine verräterischen Spuren zu hinterlassen.
Ich verlasse unvermittelt das Cafe. Ein letzter Blick auf Anna läßt mein Verlangen nach ihr erkalten. Ich gehe rückwärts die Strasse entlang, in mein Leben zurück, dass mir nun sinnlos erscheinen sollte. Aber ich fühle nichts.
Plötzlich habe ich Anna vergessen. Als hätte ich nie von ihrer Existens gewußt. Aber da wäre noch meine innere Stimme. Diese Stimme, die sich gegen die Chronologie der Zeit auflehnt. Diese Stimme sagt mir, dass da mal irgendwas gewesen sein muß. Diese Stimme sagt mir: Anna bleibt Anna. Von vorne wie von hinten.
Anna bleibt Anna
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