Annika und der Pool

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Annika und der Pool

Annika und der Pool

Anita Isiris

Annika war Krankenschwester auf einer chirurgischen Station, und je länger sie in diesem anstrengenden Beruf arbeitete, desto stärker wurden ihre Fluchtgedanken. Den meisten ihrer Kolleginnen erging es ähnlich, denn wer will schon mit sechzig Jahren, mit kaputtem Rücken, seelisch gedemütigt, mit geschwollenen Beinen und ohne Altersvorsorge in Rente gehen? Ob es sich um die katholische, die islamische oder die jüdische Sekte handelt: Die Zeit der Religionen, der selbstlosen Nächstenliebe, die genau von diesen Nächsten schamlos ausgenutzt wird, diese Zeit ist vorbei. Die Menschen fangen an zu denken, und das ist gut so.
Mit derart düsteren Gedanken stand Annika an einem ihrer seltenen freien Sommertage in ihrem Schlafzimmer und zog sich aus. Da klingelte prompt ihr Handy. Auf dem Display leuchtete der Name von Elke, der Stationsleiterin. Bestimmt wurde jemand für den Spätdienst gesucht, dringend, wegen des kurzfristigen Ausfalls einer Teamkollegin. Annika und Tausende ihrer Berufskolleginnen und -kollegen kennen das Gefühl. Da hat man sich sieben Tage lang den Arsch abgearbeitet und freut sich wie eine Kameltreiberin auf die Oase, die vor einem liegt… die sich aber dann, rascher als gedacht, in eine Fata Morgana verwandelt. Das schlechte Gewissen von Krankenschwestern ist immer und überall. Aber dieses eine Mal ließ Annika ihr Smartphone klingeln, bis es schwieg. Sie freute sich viel zu sehr auf ihren Nachmittag im Pool vor der Villa, die ihre Eltern von Annikas Großmutter übernommen hatten.
Annikas Eltern und Geschwister lebten in einer anderen Stadt, in einer großen Altbauwohnung. Sie brachten es aber nicht übers Herz, die Villa, in der Annikas Vater aufgewachsen war, zu verkaufen. Leer stehen lassen war auch keine Option, darum hatte Annika sich dazu entschlossen, das ehrwürdige Haus zu ihrem Lebensmittelpunkt zu machen. Der Weg zu ihrem Spital-Arbeitsplatz war mit dem Bus problemlos bewältigbar. Der erste Kurs fuhr bereits am Morgen um sechs Uhr los. Annika konnte um sechs Uhr dreißig in der Früh auf der Station sein, wenn sie das wollte. Klar wollte sie das nicht. Aber die Patientenfälle wurden immer komplexer, und Annika gönnte sich den Luxus, sich viel Zeit zum Einlesen zu nehmen, um dann um sieben Uhr, wenn die andern eintrudelten, bereits informiert zu sein und ihren Tagesablauf im Kopf zu haben.

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schreibt OERiess

Frivole Frauenfantasien von Fußballfreuden fristgerecht vor dem EM-Finale. Phänomenal! :-)

Gedichte auf den Leib geschrieben