Annina und der Gartenmann

des Wunderkerzen-Dramas dritter Teil

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Annina und der Gartenmann

Annina und der Gartenmann

Anita Isiris

Dann kam der Tag, an dem der Dorflehrer in Waldemars Bäckerei Zimtsterne einkaufte. Es war kurz vor Weihnachten, und der Mann freute sich das ganze Jahr auf diese Bereicherung seines Speiseplans, der üblicherweise aus Mais, grobem Kornbrot und trübem Bier bestand, das seine Haushälterin ihm kredenzte. Der Dorflehrer war allein im Laden, was ihn überraschte, denn es gab Zeiten, in denen die Kundinnen bis hinaus auf die Straße Schlange standen. Noch bevor er seine duftenden Zimtsterne bezahlte, fixierte er Waldemar mit strengem Blick. Dann öffnete er seine leinene Tragetasche und förderte den Anatomieatlas zutage. Er legte ihn auf den Tresen und schlug die fünfte Seite auf. Waldemars Augen weiteten sich, er sagte kein Wort. „Was du hier siehst, Junge, ist eine Punze“, dozierte der Dorflehrer. „Nina hat auch so eine.“ Er nannte Annina während seiner feuchten Träume immer zärtlich „Nina“, im schien, dieser Name hätte etwas körperlich-inniges-verletzliches. Für ihn riss „Nina“ die Schranken einer jeden Hemmung ein, die er, trotz seines enormen Verlangens, gegenüber Frauen verspürte. Der Dorflehrer war eben doch ein korrekter, gottesfürchtiger Mann, der niemals einer Frau etwas zuleide tun würde, es sei denn, er befand sich allein in seinem Bett, vor sich den aufgeschlagenen Atlas. „Nina, du kleine Hure“, murmelte er dann. „Irgendeiner wird dich pfählen. Genieß es einfach, wenn es so weit ist. Du bist für die Liebe gemacht.“ Tags darauf grüßte er die gärtnernde Annina über den Gartenzaun hinweg, als wäre nichts gewesen.

„Annina“, stammelte Waldemar. Erneut fühlte er sich ertappt, weil der Dorflehrer Annina und ihn beim Hörnchenlutschen beobachtet hatte. „Sie ist dir zugetan, die Kleine“, sagte der Dorflehrer heiser. „Wenn du heute Abend um sieben Uhr deinen Laden schließt, gehen wir gemeinsam zu Nina, klopfen an ihre Tür, bieten ihr Zimtsterne an und schauen, was passiert.“ Mit einem Augenzwinkern schlug er den Anatomieatlas wieder zu und ließ das Werk in seine Tasche gleiten. „Wir treffen uns direkt vor ihrem Gartentor.“ Der Dorflehrer bezahlte, packte die Zimtsterne ein und wandte sich zum Gehen. Hinter sich vernahm er ein Röcheln. Waldemar war hochrot angelaufen, griff sich ans Herz und hatte Augen so groß wie Glühbirnen. Die gezeichnete Vulva im Anatomieatlas, das Angebot des Dorflehrers und die Gedanken an Annina sowie die Vorfreude auf den Abend waren zu viel für ihn. Er stützte sich auf den Tresen, erholte sich aber rasch von seiner Kreislaufkrise und bediente die nächste Kundin, als wäre nichts gewesen.

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