Annina zwischen den Kissen

des Dramas vierter und letzter Teil

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Annina zwischen den Kissen

Annina zwischen den Kissen

Anita Isiris

Frühmorgens machte sich der Dorflehrer auf den Weg zur Druckerei. Als er sah, was er zu replizieren hatte, griff sich der Druckermeister ans Herz. Wenig später wurde er von einem Leichenwagen weggekarrt. Bedrückt standen seine Gesellen um Anninas Vulva-Bild herum, allen verging Hören und Sehen. Der Jüngste unter ihnen nahm das Kunstwerk beherzt an sich, legte es auf eine Druckerwalze und stellte an die fünfzehn Kopien her. Mehr gab das Material nicht her, aber das Resultat war berückend. Respektvoll nahm der Dorflehrer die replizierten Bilder an sich und bezahlte mit zwei Handvoll Gulden. Dieses Geld würde er um ein Mehrfaches zurückerhalten, am Abend, in der Kaschemme.
Er legte die Kunstwerke sorgsam in eine Mappe und machte sich auf den Weg zu Waldemar, dem Bäcker, wo er bereits von Nubuk, dem Gartenmann, erwartet wurde. Als der Dorflehrer die Mappe öffnete, war die Spannung nahezu unerträglich. Als Waldemar Anninas Punze erkannte, war das zuviel für ihn. Er griff sich ans Herz, verdrehte die Augen und ging denselben Weg, den am selben Morgen der Druckermeister gegangen war. Bald fuhr der Leichenwagen vor, und Waldemars Bäckerei war Geschichte.
Am späten Abend betrat ein Mann in einem langen schwarzen Gewand die Kaschemme. Als er es ablegte, grölten die allesamt betrunkenen Anwesenden. Die Schankmägde wirkten erschöpft, allzu viele Finger hatten sie an ihrem Hintern und an ihren Brüsten erdulden müssen. Aber die Mägde mussten ihre kleinen Familien ernähren und sahen für sich keine andere berufliche Perspektive, als sich Abend für Abend begrapschen zu lassen, schwere Bierhumpen stemmend. „Kommt an den Mitteltisch“, rief der Dorflehrer. „Ich habe etwas zu Versteigern.“ Dann breitete er drei von Nubuks Gemälden aus.
Manch einer der anwesenden Dorfbewohner röchelte. Andere wiederum griffen sich ans Herz. Einige hatten Schaum vor dem Mund, weitere sanken auf die Knie. Dann wurde es totenstill in der Kaschemme, einmal abgesehen von den spitzen Schreien der gottesfürchtigen Mägde. „Die Hölle“, sagten sie. „Diese Männer haben in die Hölle geblickt.“
Anninas Vulva in der „von-hinten-Perspektive“, einer Ansicht, nach der die ganze Welt dürstet, dem Buchdruck, der industriellen Bienenhaltung, der Telekommunikation und der Seuchenforschung zum Trotz: Die Annina-Vulva-Ansicht ist dasjenige Mirakulum, das bis heute die gesamte Menschheit beseelt, es ist das, weshalb viele Ehen scheitern, Männer bei der Arbeit ihre Konzentration verlieren, es ist das, worum in den Museen und auch auf den Internet-Plattformen dieser Welt gestritten wird, es ist das, wofür das kollektive Herz der Menschheit still steht.
Tränenüberströmt holten die Frauen die Leichen ihrer Männer in der Kaschemme ab, der Totengräber hatte alle Hände voll zu tun. Der Dorflehrer hatte sich mit seiner Mappe mit deren Inhalt längst aus dem Staub gemacht. Er hatte die Wirkung von Nubuks Gemälde unterschätzt. Er verstaute die Mappe in seiner Bibliothek, schenkte Nubuk und sich je ein Gläschen Pflaumenschnaps ein, und das Leben nahm seinen Lauf.

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