Astarte

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Astarte

Astarte

Christian J. Geiger

Rosie war eher klein von Gestalt; mit kurzen Stampfern in rosa Lackstiefeln und schwarzen Seidenstrümpfen. Ein wuchtiges Gewölbe über mächtigen Schenkeln und ein verschlissener Samtrock, der wieder und wieder das Versteckspiel gewann gegen das, wonach Männer in ihr suchten. Um ihre Hüften trug sie einen fleischigen Rettungsring, an dem sich ein weinender Witwer festhielt, während er versuchte, sein Komma auf den Punkt zu bringen. Und falls er den richtigen Punkt nicht traf, führte Rosie seine Preziosen ein paar Zentimeter höher, zu ihren überreifen Brombeeren, die sich in ihrer Fülle tief auf ihren Bauch niederbeugten, als ob sie dem unerwarteten Gast einen Gruß entbieten wollten. Mit warmen teigweichen Händen streichelte sie die ausgedörrte Schlange, die zu lange unbeweglich in der Sonne gelauert hatte, ohne ein Opfer zu finden. Sie geleitete sie an ihren Gaumen und hauchte ihr für eine halbe Stunde neues Leben ein. Aß lamienhaft das Fleisch, leckte und saugte Blut aus dem Herzen und Eiweiß aus den Wunden, schlug und riss die gefaltete Haut. Und wenn ihn dennoch vorzeitig die Kraft verließ, trank sie seine Tränen noch bevor diese dem Auge entfliehen konnten, strich ihm sanft übers Haar und gab ihm eine brennende Zigarette. Wenn er dann daran sog, wünschte sie, er bemerke nicht, wie der rotglühende Kopf unter der aschenen Haut hervorspähte und ihn nur verhöhnte, weil er selbst nicht mehr in der Lage war, solch eine Hitze zu entfachen und vor einem glimmenden Stäbchen die eigene Waffe strecken musste. Und der Champagner, wenn sie dem Enttäuschten das Nass reichte, stieg in die Nasen und reizte zum Blinzeln und verlagerte das wohlige Prickeln in den falschen Teil der Körper. Da zerbiss er voll Hass und Enttäuschung die Ränder aus Glas. Dann bemühte sie sich um den kindlichsten Gesichtsausdruck, den die ausladende Unterlippe und die erstaunten Augen so einladend gelingen ließen. Ihre milchweißen Zähne teilen sich, um die blutrote Zunge riechen zu lassen. Und wenn sie Angst roch in einer Mischung aus Wollust, Erinnern und Vergessen, so wusste sie, dass er in Vorahnung der Dinge bereit war zu hören, von den Spielen ohne Grenzen, von denen sie ihm ins Ohr wisperte, dass Blicke des gepfählten Schweinehauptes wahrscheinlich töten würden, wenn sie könnten, während sie beide besessen die Perlenmuschel klingen ließen und ein Fegefeuer entzündeten für Baal, den Ewigen, den fallschirmspringenden. Nochmals nahm sie die Muschel an die Lippen und blies, bis der singende Ton tief in seinen Körper getropft war und dort einen See gebildet hatte, auf dem die Nebel flüsterten: «Amens, Amens, Amens, Amens» und wallend die Züge annahmen von Bernardo Gui, der keuchend Reueforderungen hustete, Blut und Stahl und Myrrhe spuckend, umgeben von brennendem Papier. Und im Leuchten der Flammen vergingen ihm die Sinne um so viel, was sie zu schenken bereit war. Er trotzte, da er zwar verstand, doch nicht imstande war, zurückzugeben, was sie an ihn verschleuderte, in ihrer jugendlichen Zärtlichkeit.Für ihr Verständnis um die Unzulänglichkeit dieser Momente wurde sie geliebt, gestoßen, gestreichelt, gehasst. Er schrie ihr ins Ohr, dass eines Tages, irgendwann, wenn die Sterne günstig und Merkur wohlgesinnt, er ihr zeigen würde, dass. Bevor er sich wieder von ihr wälzte, weil der Pfeil noch im Bogen gebrochen war, die Sehne gerissen, und das königliche Reh, soeben noch im Visier, in langen, sanften Sprüngen zurückgeeilt war in die undurchdringlichen Dickichte mittelalterlicher englischer Wälder, wo kein Geächteter sie finden, stellen und treffen konnte, und auch die humanistische Bildung vor den Anforderungen des modernen Lebens versagt hatte.
Immer wieder zog er sich deshalb zurück, mit Zigarre und Brille bewaffnet, in die besser bestückte Bibliothek, wo er zwischen Goethe, de Sade und Aleister Crowley zusammensank unter den wahren Werten des Menschseins, im Bewusstsein, dass das Blatt leer bleiben und der Bleistift stumpf werden würde, ohne dass er ein einziges Wort geschrieben hätte, das es wert gewesen wäre, der Nachwelt überliefert zu werden. Das ist mehr als ein Humanist jemals ertragen kann. Und im Schwimmreif der Selbsterkenntnis trieb er zurück in die Niederungen seines Dasein. Weil die höheren Weihen in Wahrheit im Verstehen einer Liebesdienerin, die den Mund zärtlich auf die graubehaarte Brust drückt und ihre Hand um den zitternden Nacken legt, liegt. Weil nur sie bereit ist, weibliche Körperlichkeit als reinen Selbstsinn zu begreifen, ohne auf der Neiderinnen Ruf zu hören, deren Zweck immer noch vaginale Mittel heiligt.
«Nicht, nicht, nicht!» flüsterte Alice, wenn sich die Zunge – zu früh – müde zur Ruhe legen wollte.
«Nicht aufhören.»
Und sie bettelte um ihr wunderländisches Gute-Nacht-Kinderlied, ohne das sie aus dem Schlaf hochschrecken würde, in Furcht vor dem runden Mond, der den Wolf wütend heulen ließ, die geifernde Bestie vor ihrer Pforte, die sich gewaltsamen Einlass verschaffen wollte in ihre Gemächer, welche zwar wunderschön geschaffen, doch nicht immer bereit waren für einen Wanderer, dem nur allzu heftig nach einem Teller Suppe gelüstete. Wenn er sich doch nur geduldete! Welch Mahl würde sie ihm bereiten; in geweißelten, sauberen Stuben mit weichen, samtenen Kissen und warmem, dunklem Wein, der die Sinne betört und die Herzen öffnet für den Sanktgeorgstag. Wenn kein Platzregen kommt und das Weiß herabwäscht, bis darunter die roten Mauern hervorlugen, als habe man ein Lamm darauf geschlachtet. In Blut, Schweiß und Schmerz den Leib aufgerissen, und sich gesättigt an den Geweiden.
Wie beim Fällen eines Baumes, der einen Winter lang die Kammer heizt, aber eines Menschen Leben lang sommers Schatten gespendet hätte. Doch wer kälteknirschend Rosies Lager besucht, glaubt nicht an Wärme, goldene Früchte am Ende der Reifezeit, sondern beißt in saure Äpfel, weil er jetzt hungrig ist und den Wechsel der Jahreszeiten nicht erwarten kann. Bis im letzten Winter seine Kraft nicht genügt, um auch den verlebtesten Stamm noch zu fällen, und er den Tagen nachtrauert, in denen er versäumt hat, links und rechts seines Weges zu schlagen, was Holz war, um sich so zu beweisen, dass Muskeln immer noch mehr zählen als Frauenleiber. Er hält seine Tränen zurück, wenn der Arzt ihm sagt:
«Es ist ein Junge; Ihre Frau hat einem Jungen das Leben geschenkt.», er zündet sich höchstens eine neue Zigarette an.
Und statt hinzueilen ans Kindbett seiner Gemahlin, um ihr die Wangen zu küssen, sie bei den Händen zu nehmen und den neugeborenen Sohn voll Stolz in luftige Höhe zu heben, zog es ihn zu Rosie hin, an deren Busen er sich freuen und er weinen konnte vor Glück über das Geschenk einer Familie, die nun Zeugnis ablegen würde über seine Kraft, Sein Wort befolgt zu haben:
«Seid furchtbar und mehret euch.»
Und während er mit Rosie eine dunkelrote Kirsche teilte und sie den vergifteten Teil essen hieß, träumte er davon, ihren gläsernen Sarg zu öffnen und sie in seine Wirklichkeit zu küssen. In diesen Augenblicken hasste sie ihn, weil er die goldenen Bälle zurückbrachte, die sie beim Spielen an verbotenen Brunnen hatte hineinfallen lassen. Sie hasste ebendiese unergründlichen Tiefbrunnen und die kirschdunkle Frucht, die er zwischen ihren Lippen versenkte, in seinem Wahn, ihr die Augen auch noch in hundert Jahren öffnen zu können durch seine bloße Anwesenheit. Denn sie glaubte nicht mehr an Märchen und er war auch nicht ihr Prinz.

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