Dann war er endlich da, der Tag von Atides Entjungferung. Schon am frühen Morgen musste sie sich in Begleitung der Dorfältesten an den Fluss begeben, wo ausführliche Reinigungsrituale stattfanden. Diese Rituale waren öffentlich; zum letzten Mal sollten die Jungen Gelegenheit erhalten, Blicke auf Atides nackte Brüste zu werfen. Im Verlauf des Jahres war es ihr vom Vater untersagt worden, sich unter ihre gleichaltrigen Spielkameraden zu mischen – zu sehr hatte sie sich vom wilden und kämpferischen Mädchen von einst entfernt. Die Frauen hatten Atide das ganze Jahr über gemieden, sahen sie doch, was für prachtvolle Formen sie annahm – in Konkurrenz zu ihresgleichen.
Nun stand sie also am Fluss, splitternackt und für jedermann sichtbar; mit offenen Mündern beobachteten ihre ehemaligen Freunde, wie Atides Schamhaar mit Henna gefärbt wurde und in der gleissenden Sonne wirkte wie ein brennender Busch. Ab und zu kam Muham vorbei und brummte anerkennend. Atide wurden winzige Zöpfe geflochten, ihre Schultern wurden in Naturfarben (etwas anderes gab es zur Zeit ja nicht) bemalt und entlang ihrer Schenkel ringelten sich gemalte Schlangen. Noch immer ass Atide, was auch immer man ihr vorsetzte und saugte genüsslich an einer Zuckerdattel.
Dann brach die Dämmerung herein und die geschmückte junge Frau betrat ihr Zelt, in dem schon zahlreiche farbige Kissen vorbereitet worden waren. Etwa eine halbe Stunde lang überliess man sie sich selbst, dann begannen von ferne die aus Bambus und Elefantenhaut angefertigten Rhythmusinstrumente zu schlagen, zu klopfen, zu dröhnen und zu zirpen. Hunderte von Männern waren über die umliegenden Wälder verteilt, trommelten für Atide und überliessen sich ihren Fantasien. Dann betrat Muham Assaf das Zelt und mit ihm drei Männer. Im Verlauf des Jahres waren die andern drei ums Leben gekommen – unter ihnen Jussuf al Sharek.
Atides Zelt
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