Bahnhofsmilieu

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Yupag Chinasky

Aber aufgesucht hat er sie dann doch nie wieder.

Testosteron

Die Erfahrung, die er bei der Frau gemacht hatte, war hilfreich, nicht nur wegen der sexuellen Befriedigung. Der Besuch hatte mehr bewirkt. Er hatte sein Ego gestärkt und ihm die Verklemmung und die latente Angst vor den käuflichen Frauen ein wenig genommen. Er konnte nun wesentlich lockerer durch die Neonstraßen tigern und den Damen manchmal sogar zuwinken. Aber diese neue Lockerheit hielt nicht lange an, denn eines Abends, ein paar Wochen, nachdem er Mut bewiesen und auf einem rosa Wölkchen geschwebt hatte, warf ihn ein höchst unangenehmes Erlebnis auf den Boden der Realität zurück. Ein Erlebnis, das ihm die Augen für einen neuen, einen anderen Aspekt dieses Viertels öffnete und auf das er liebend gern verzichtet hätte. Er durchstreifte wieder das Labyrinth der Straßen und der Tunnel. Es war mitten im Sommer, ein warmer, lauer Abend, dem man sogar in dieser Umgebung eine angenehme Seite abgerungen hätte, wenn nicht die üblichen Störfaktoren da gewesen wären: der Verkehrslärm, der Gestank der Abgase, das dunkle, marode Umfeld. Er schlenderte, voyeuristisch wie üblich, an den bunten Fenstern vorbei, mied aber die Gasse, in der die Frau mit den schwarzen Leggins ihr Fenster hatte. Die meiste Zeit des Abends verbrachte er in einem Wettsalon. Er beobachtete die Typen, die gebannt auf die Bildschirme starrten, Pferderennen verfolgten und ihre Tippscheine nach jedem Rennen wütend auf den Boden warfen oder sich ihren Gewinn in Höhe von ein paar Euro freudig auszahlen ließen. Obwohl das sportliche Geschehen nur virtuell stattfand, das eigentliche Rennen war in Indien, in Bangalore, war die Atmosphäre gespannt. In den Gesichtern spiegelten sich die Emotionen, in den Gesten kamen Frust und Freude zum Ausdruck. Die Beobachtungen, die er vom Rande des Saals aus machte, waren durchaus ergiebig und auch die Bilder, die er mit halb versteckter Kamera schoss, versprachen interessant zu sein.

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Gedichte auf den Leib geschrieben