Bahnhofsmilieu

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Bahnhofsmilieu

Bahnhofsmilieu

Yupag Chinasky

Es empfiehlt sich, auf sein Gepäck zu achten, auf die Handtasche, die schwarze Umhängetasche mit dem angebissenen Apfellogo und dem teuren Laptop darin oder auf den Geldbeutel in der Gesäßtasche. Die Vorsicht wird von Zeit zu Zeit bestärkt durch krächzende Durchsagen, die aus altertümlichen Lautsprecherröhren schallen und mahnen, keine Gepäckstücke unbeaufsichtigt stehen zu lassen.

Man sieht alle möglichen Leute, Menschen jedweder Couleur und Hautfarbe. Hier der Geschäftsmann im gestreiften, schwarzen Nadelanzug oder sein weibliches Pendant im gedeckten Kostüm. Und um den Bierausschank herum, eine Gruppe Touristen mit exotischen Kopfbedeckungen und Bergen von Koffern, die wohl direkt aus einem Urlaubsparadies gekommen sind. Zu Stoßzeiten bevölkern Massen von Pendlern die Halle, die rasch zum Arbeitsplatz oder noch rascher zurück nach Hause eilen. Die herumalbernden Schüler und die trödelnden Rentner scheinen es dagegen nicht eilig zu haben. Sie stehen herum, lungern herum, genauso wie manche unangenehme Typen in allen Stadien des sozialen Abstiegs. Sie betteln, schnorren ein paar Cent, indem sie vorgeben unbedingt eine Fahrkarte kaufen zu müssen oder klagen, dass sie schon, wer weiß wie lange, nichts mehr gegessen hätten. Junkies und Punks in abenteuerlicher Bemalung und exotischem Outfit sitzen in einer Ecke auf dem Boden, ihre Schäferhunde dösen und sie wechseln nur unwillig ihren Standort, wenn eine Polizeistreife sie auffordert, zu verschwinden.

Das Chaos des Untergrunds setzt sich fort, wenn man das Gebäude durch den Hintereingang verlässt. Während der Haupteingang den Weg direkt in das Zentrum weist, in das pulsierende, gepflegte Herz der Stadt, öffnet sich ein neues Labyrinth, kaum dass man den Hintereingang durchschritten hat. Man irrt durch Unterführungen, steigt auf schmalen Treppen hinab zur Ebene der Gleise und hinauf zur Ebene der Hochstraßen, die die Bahnhofsanlage überqueren, umrundet gewaltige, betonierte Pfeiler, kommt an Laderampen und Eisentoren vorbei.

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