Der Balkon

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Der Balkon

Der Balkon

Yupag Chinasky

Er will sie kennen lernen, diese mitleidende Frau, diese nächtliche Gefährtin. Er will mehr von ihr wissen, ihr näher kommen, ihr Trost spenden, sie ablenken. Doch um dies zu können, muss er zunächst herausfinden, wer sie überhaupt ist. Er muss sich überlegen, wie er sie ansprechen, wie er sie auf sich aufmerksam machen soll. Er schmiedet Pläne, überprüfte sie, verwirft sie, änderte sie ab. Dann weiß er, wie er vorgehen muss und er ist sich sicher, dass er Erfolg haben wird. Jetzt erst stellt er sich vor, wie sie, die beiden Schlaf- und Ruhelosen, die heißen Nächte zusammen verbringen werden, wie sie sich erzählen, was sie tagsüber erlebt haben, wie sie sich aus Büchern und Zeitschriften vorlesen, wie sie sich zusammen Filme in dem Minifernseher anschauen. Er wird sich eine Cassette mit „Das Fenster zum Hof“ besorgen, den alten Film mit James Stewart, ja, der würde gut zu ihrer Situation passen. Er malt sich aus, wie er sie in eine Eisdiele einlädt. Sie trinkt Eiskaffee, er eiskaltes Weizenbier, danach löffeln sie gemeinsam eine üppige Eisbombe. Am nächsten Abend treffen sie sich in einem Biergarten. Er bestellt wieder Weißbier, sie hat noch nie welches getrunken, kostet und schüttelt sich. Süße Brause ist ihr lieber. Am dritten Abend sind sie beim Italiener verabredet. Der Grad ihrer Vertrautheit, der mit der gemeinsamen Eisbombe begonnen hatte, setzt sich mit einem mediterranen Salat als Vorspeise fort, den sie zusammen essen. Beim Hauptgericht erfährt er, dass sie Vegetarierin ist und daher Fleisch und sogar Fisch verschmäht. Sie wählt Spaghetti mit Pesto. Er bestellt eine Pizza mit viel Salami und Schinken. Ihr Vegetariersein hindert sie aber nicht, Wein zu trinken, viel kühlen Frascati. Nach dem Essen wollen sie trotz der Hitze in einer Freiluftdisko tanzen. Sie reden viel, lachen, necken sich. Sie raucht, raucht viel. Er bespöttelt ihre Sucht. Und weil er wieder Weißbier trinkt, zieht sie ihn mit seiner Vorliebe für das säuerliche Getränk auf. Beide können auf einmal die Hitze ignorieren, sie ist nicht mehr ihr beherrschendes Thema.

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