Beim Friseur

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Beim Friseur

Beim Friseur

Marcus Voluptas

Als er den Salon betritt, wandern seine Augen zufrieden über die leere Stuhlreihe auf der Männerseite. Alles ist so wie immer. Topfpflanzen in Kübeln, Haarbüschel am Boden, gerahmte Hollywood-Starportraits zwischen den großen Wandspiegeln. Gegenüber die unvermeidlichen, in Illustrierte vertieften Damen um die 40, unter Trockenhauben schmorend. Niemand scheint ihn zu beachten. Ob man wie Pierce Brosnan aussehen muss, um beim Eintreten in den Salon aus apathisch-desinteressierten Damen zappelig-nervöse Groupies zu machen?, phantasiert er gegen das quälende Bewusstsein von der eigenen Durchschnittlichkeit an. Hier beim Friseur verspürte er zu gerne die Aura des Besonderen, die ihm feminine Zuwendung einbrächte.
Dann das Zupfen zweier Hände an den Jackenärmeln. Atemhauch weht seinen Nacken an. Sie hängt seine Jacke an die Garderobe, sie fordert auf sich zu setzen und blickt ihm direkt in die Augen. Aufgeworfene Lippen schimmern ihm entgegen. Sämtliche Trockenhauben und Groupies sind fürs erste vergessen. Er weiß: Diese neue, gut 20 Jahre jüngere Friseuse, wird mit Schere und Kamm ein strenges Regiment führen. Fügt er sich willig, werden sie beide gut miteinander klarkommen. Wie langweilig. Schon spürt er dieses Jucken, den Reiz zu einer Spielpartie Provopoly.
Flinke Finger verpassen ihm ein Friseurhemd und eine kitzelnde Halskrause. Sie tritt einen Schritt zurück, schaut, ungeduldig auf Ferse und Ballen hin und her wippend, in den Wandspiegel. Er lässt sich Zeit mit einer Antwort. Betrachtet im Spiegel ihr zu kurzes, über dem Bauchnabel endendes T-Shirt. „Sexy" steht darauf in großen Lettern, quer über ihrer Brust. Er verzieht sein Gesicht. Man merkt doch, denkt er, dass man älter wird und für solche Peinlichkeiten nicht mehr zu haben ist. Dann entschließt er sich, bei ihrem Augenpaar zu verharren, über dem sich so herrlich weit ausschwingende Wimpernbögen wölben. Während er noch die Wonnen eines Rollentauschs erwägt, bei dem er unverzüglich damit angefangen hätte, jedes ihrer Wimpernhärchen einzeln durchzukämmen und - zwecks Echtheitstest - auch anzuzupfen, nuschelt er, seine Verlegenheit überspielend, knapp und monoton seine Wünsche (Bürstenschnitt bitte, Schneidemaschine ist besser als Schere wegen der vielen Haarwirbel, okay?).

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