Etwas Besonderes war nicht dran an ihm. Da war er sich sicher. Jeden Morgen stand er in aller Frühe auf, im Winter sogar noch etwas früher. Da heizte er noch seinen Ofen, bevor er aus dem Haus ging. Es sollte nicht so kalt sein in seiner kleinen Hinterhauswohnung, wenn er wieder zurückkam, am späten Nachmittag oder erst am Abend. Dann trank er einen Kaffee, Essen kriegte er um diese Zeit noch nicht herunter und fuhr mit der U-Bahn zu der Großküche, in der er als Spüler arbeitete. Die Küche lag im Westen, es waren ein knappes Dutzend Stationen bis dahin. Die Zeit reichte, um noch ein wenig in der Bahn zu dösen. Das war wirklich nichts Besonderes, und mehr war da nicht.
Es war nicht immer so gewesen. Er war einmal ein Kind; mit Plüschtieren, Soldatenfiguren, Spielgefährten, Abenteuern und einem Fahrrad vom Geburtstagsmann, das wußte er noch. - Aber nun war er hier, und es war gerade kalt draußen. Was davor mit ihm war, lag unendlich weit weg von hier, lag wie hinter dickem Nebel verborgen. Nebel, - ja, dieses Bild gefiel ihm. Der Nebel am Morgen, der das Häusermeer der Stadt in milchiges Dunkel tauchte und alles geheimnisvoll sanft machte. Wenn es morgens neblig war, ging er immer noch ein oder zwei U-Bahnstationen zu Fuß. Soviel Zeit mußte sein. Der Nebel kroch dann zu ihm in den Mantel. Es war, als wäre er ganz allein unterwegs, in einer ihm völlig unbekannten, geheimnisvollen Gegend. Es störte ihn nicht, wenn er in der kalten Jahreszeit immer im Dunkeln zur Arbeit ging und abends auch wieder im Dunkeln von dort zurückkehrte. Das war ihm lieber als der Sommer. Da machte ihn die Sonne immer zu früh wach, und die Tage begannen oft so vielversprechend. So, als wollte jemand zu ihm sagen:
"Los Alter, komm endlich raus! Sieh dich doch mal um! All die Schönheit, ... die ist doch nur für Dich!"
Das Bein oder Aschenbrödel
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Das Bein oder Aschenbrödel
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