Bettina und der Aaronsstab

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Bettina und der Aaronsstab

Bettina und der Aaronsstab

Anita Isiris

Unflätige Begriffe wie „Rieseneuter“ tilgte er sofort aus seinem gebildeten Gehirn; Pfarrer Viktor beschränkte sich voll und ganz auf Bettinas Worte. Er versäumte es nicht, ihr immer wieder Wein nachzuschenken, und so ging es bis zur Stunde nach Mitternacht. Dann ergriff der Pfarrer das Wort. „Gott liebt Dich“, sagte er mit warmer Stimme, „aber Du hast das verdient, was alle Frauen verdienen und worauf sich alle freuen. Ich meine damit nicht die Hochzeit, Bettina, sondern das, was in der Nacht folgt.“ Bettina erstarrte. „Was folgt denn in der Nacht? Meine Freundinnen sind nach der Hochzeitsnacht nicht alle glückselig“, fügte sie an.
„Bettina, es geht um den Aaronsstab. Wie ich Euch in der Sonntagsschule gelehrt habe, stammt die Bezeichnung aus der Bibel. Der Stab Aarons ist ein Zeichen seiner Auserwählung zum Hohepriester. Daraufhin hat sich der Stab in eine Schlange verwandelt. Die Blüte ist aufrecht stehend und stabähnlich. Im Volksbrauchtum gilt der Aaronsstab als Symbol der Fruchtbarkeit. Ich denke, es ist nun an der Zeit, dass ich Dich in das einweihe, was der Aaronsstab zu tun vermag. Er ist nicht nur fruchtbar. Er lindert auch Hunger, Sorgen, Nöte und Trauer. Lass mich nur machen.“
Der Wein hatte das Seine dazu beigetragen, dass Bettina nicht zurückwich, als der Pfarrer vorsichtig die Knöpfe und Schlaufen an ihrem Kleid löste, bis es ihr von den Schultern fiel. Darunter trug Bettina zwei zerschlissene Hemden, wohl um der Kälte zu trotzen, als sie den Weg in die Kirche gefunden hatte. Die junge Frau duftete nach Olivenseife. Trotz ihrer Armut ließ sie es sich niemals nehmen, auf dem Markt heimlich Olivenseife zu erwerben, die ihre Haut geschmeidig hielt. Haut, die sie für Ferdinand, ihren nun verstorbenen Mann, hatte aufbewahren wollen.

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