Der Zeitpunkt war da. Martin rutschte zur Seite, rutschte über das Bett, hoch zu seiner Frau. Gab ihr einen Kuss, den sie wild und fordernd erwiderte, verschaffte sich noch einmal Sekunden, um durchzuatmen, doch eigentlich nur, um den unvermeidlichen Moment hinauszuzögern.
»Schatz, Sandra«, flüsterte Martin.
Noch einmal atmete er ein, sammelte sich, betrachtete die lustverzerrten Züge seiner Frau, die nichts ahnte. Die vor Lust und in ihrem Spiel verging. Während sich Frank ein Kondom über seinen Schwanz rollte. Irgendwo in seinem Verstand realisierte er, dass sein Freund kleiner war. Doch er spürte deswegen keinerlei Erleichterung. Es spielte keine Rolle. Es würde keine Rolle spielen. Alles wäre bedeutungslos gegenüber der einfachen Tatsache der fremden Präsenz.
»Schatz«, begann Martin von Neuem. »Wenn du es wirklich willst. Dann kannst du jetzt einen anderen Mann haben. Dann kannst du Frank haben.«
Sandra hielt den Atem an, als sie die Angst in Martins Stimme bemerkte. In einem Rollenspiel gab es keinen Grund für Angst.
Martins Finger zitterten. Er fasste nach der Augenbinde. In seinen Ohren nur noch Summen. Er zog sie herab und dann sah er dabei zu, wie sich Ungläubigkeit in die blinzelnden Augen seiner Frau schlich. Wie sie wuchs und wuchs und zu Fassungslosigkeit geriet. Er sah ihr Erkennen. Er sah, wie ihr Verstand die Situation zu erfassen suchte. Dass sie mit gespreizten Beinen, vollkommen entblößt vor dem Freund ihres Mannes lag. Bereit, ihn zu empfangen! Wie lange schon? Wie lange war er dabei? Was hatte er gesehen? Was gehört? Es war so viel. Es schien zu viel. Zuviel, als dass Sandra dazu in der Lage gewesen wäre, zu reagieren, ihre Beine zusammenzupressen. Sich zu verstecken, vor Empörung zu brüllen.
Plötzlich sog sie die Luft ein - wie eine Ertrunkene, der man neues Leben eingehaucht hatte. »Darüber sprechen wir nachher, Martin«, sagte sie mit einer Stimme, die ihre gewohnte Tonalität erst wieder finden musste. Wie mit Tinte geschrieben, las er den Vorwurf in ihren Augen. Gebrochene Wörter. Gebrochen wie das Vertrauen. Die Grundlage ihrer Beziehung, ihrer Ehe. Aber… da war auch mehr. Ein Flackern wie das einer fast erloschenen Kerzenflamme, wenn der Wind nachließ. Eine Flamme, die an Kraft gewann. Die stärker loderte, jetzt, wo sie sich nicht mehr wegducken, wo sie sich nicht mehr verstecken musste.
Blindfolded
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