Bumm Bumm

3 6-11 Minuten 0 Kommentare
Bumm Bumm

Bumm Bumm

Claudia Carl

Die Kinositze schweben über der Karl-Marx-Allee. Sein Oberarm berührt ihren. Auf der Leinwand flimmert der Film. Ihre Hand liegt auf ihrem Schenkel, ganz nah an seinem Bein. Sie hält die Finger gespreizt. Die Strumpfhose spannt auf ihrer Haut.
Seine Hände suchen eine Beschäftigung. Er legt sie auf seine Jeans. Je starrer Mona sitzt, desto beweglicher wird Noris. Jetzt hebt er die Arme, gleich wird er sie um ihre Schultern legen. Der Saal liegt in Dämmerlicht. Noris lehnt sich zu Mona hinüber, der Druck auf ihren Oberarm verstärkt sich. Ein heißer Fleck. Sie hält ihm die Tüte mit dem Popcorn hin.
Nein, sagt Noris. Ohne danke. Und:
Das ist ein Scheißfilm.
Eine Teufelin erfüllt die Wünsche eines Mannes mit vorhersehbaren Folgen. Reich und mächtig, sensibel und geliebt will er sein. Jedes Mal hat er einen Aspekt übersehen.
Noris stöhnt.
Ej, Alter, Scheiße, sagt er zu James, der auf der anderen Seite sitzt.
Willst du gehen? fragt James.
Noris bleibt noch. Lehnt sich nach vorne auf die Lehne des leeren Stuhles vor ihm. Mona tätschelt ihm den Rücken. Er zappelt hin und her, lehnt sich vor und zurück. Schließlich steht er auf, Mona packt ihren Mantel, sie gehen.
Der Ufa-Palast ist leer. Alle Filme laufen, kein Mensch ist mehr an dem Süßigkeitenstand, an dem die Jungs eben gut gelaunt Popcorn und Eis gekauft haben.
Was machen wir jetzt? fragt Mona.
Gehen wir noch was trinken?
Nein, sagt Noris.
Wie gehen nicht mehr aus, James und ich.
Sie bringen Mona nach Charlottenburg. Der Abend ist abgeschnitten, eine schwarze Scheibe Nacht.
Mona holt ihren Zimmerschlüssel beim Nachtportier ihres Hotels.
Kann ich noch ein Bier haben?
Natürlich.
Der dunkelhaarige Ausländer mit den Badeschlappen beginnt, es zu zapfen. Mona setzt sich auf den Stuhl im Frühstücksraum.
Es dauert noch ein bisschen, sagt der Portier nach einer Weile.
Kein Problem, sagt Mona.
Aus dem Fernseher dringen leise Laute, die schwarzen Holzstühle im leeren Saal strecken ihre Spinnenbeine aus.
Der Gedanke war von Anfang an ein sündiger. An dem Abend im Sommer, als Noris im Biergarten saß, auf dem Schoß den labtop, aus dem Acid Music drang. Umringt von vier Freunden in seinem Alter, sein Strahle-Lachen im Gesicht.
Der Stuhl neben Noris war frei, als Mona vorgestellt wurde. Noris saß breitbeinig da, aus den kurzen Ärmeln seines T-Shirts schauten seine kräftigen, behaarten Arme.
Damenhaft ließ sich Mona nieder, ihre nackten Beine unter dem Rock landeten neben Noris‘ Jeans.
Hey, Leute, rief Noris aus, der wie seine Freunde schon einige der auf dem Tisch stehenden Gläser geleert hatte.
Trinkt ihr auch einen Caipirinha mit?
Mona und ihr Kollege musterten sich. Ja, hey, warum nicht. Carlos war ohnhin anfällig für Jungbleib-Orgien, ließ sich von den Jungs duzen und erklärte ihnen jovial seinen Fotoapparat. Mona musterte die Caipirinha-Gläser auf dem Tisch und spürte die Versuchung, die Fotoserie über Biergärten nach Mitternacht einfach sausen zu lassen und sich wie die Jungs zu besaufen. Sie fühlte Noris und seine Offenheit. Und seinen verstohlenen Blick auf ihre Kniee.
Hey, Mona, bist du verrückt? Der Junge ist Mitte 20, vielleicht Ende. Hey, der ist dynamisch, bewegungsfroh, täglich geil auf Neues. Auf Erlebnisse, auf Amüsement. Jetzt hör auf, ej, mit deinen Gedanken.
Er hat dichtes schwarzes Haar und ein Lächeln...auf seinen Wangen schimmert ein kratziger Drei-Tage-Bart. Wenn er richtig loslacht, gluckert er wie ein verstopftes Abflußrohr, das kitzelt in Monas Brust. Mit Noris zu lachen befreit. Die Welt wird zum Freizeitpark, verschwunden ist jede Schwermut. Ein Sonnyboy! Wenn er von „meiner Mama“ spricht, dringt deren Liebe aus jeder seiner Poren, taucht er sein weibliches Gegenüber in weiches Licht. Auf Noris‘ Konto ist ein dickes Frauen-Plus. Da gibt es noch nicht den tiefen Riss, der später zu erwarten ist. Automatisch schrumpft so auch Monas Sündenkonto bei der Männlichkeit. Auf Null. Nochmal von vorne anfangen, das wärs. Mit dem geheimen Wissen all der Jahre, die Noris noch vor sich hat und Mona hinter sich.
Was willst du Mona, hey! Sein junges Blut aussaugen wie eine Vampirin! Dich in seiner Aura zurück versetzen in die Zeit mit Jacky in Paris oder mit Manuel in Schweden. Jackys Finger zwischen deinen im Auto, sein „On va se marier“ auf dem Rücksitz. Manuels Arme um dich in der Disko in Stockholm, das Kitzeln seines schwarzen Schnurrbarts im Gesicht.
Doch Noris schrieb ihr seine email Adresse auf. Sie müsse unbedingt noch mehr Acid Parties fotografieren, insbesondere die Deep House Party, die er im November organisiere.
Da musst du mir aber unbedingt nochmal die Hintergründe erklären, sagte Mona.
Ich habe ja von diesem Thema keine Ahnung.
Na klar, ruf mich an.
Ja, ja, ja. Es war ein Vorwand. Nichts als ein billiger Vorwand. Denn eigentlich wollte sie nur eins: Ihn verführen!
Über ihre Langmut kann sie sich im Nachhinein nur wundern. Der Badeschlappen-Portier stellt ihr das Bier vor die Nase. Sieben Minuten hat er mindestens fürs Zapfen gebraucht, sich immer wieder devot entschuldigt.
Kein Problem, hat Maria gönnerhaft gesagt.
Zwischen Sommer und November hatte sie sich nicht bei Noris gemeldet.
Sogar die Party hatte Mona dann verpasst. Ein Termin kam dazwischen. Sie meldete sich danach.
Wie wars?
Ich würde dich gerne einmal zum Essen einladen, schrieb Noris.
Puh.
Ein paar Wochen später, im Dezember, kam der Abend, der doch eigentlich unmißverständlich gewesen war, denkt Mona und nippt den bitteren Schaum von ihrem Bier. Der Abend mit dem Kuss im Taxi, auf dem Rücksitz. Mit seinen Blicken über den Tisch beim Mexikaner. Mit seinem „Meine Lady“ zur Bedienung („Meine Lady nimmt noch einen Caipirinha“), das Mona berauschte vor Glück. Ihre Unsicherheit in ihrem damenhaften Look mitten in der Bumm-Bumm-Disko, neben Noris mit dem Wollkäppi auf den Haaren über dem schönen Gesicht.
Bumm-Bumm – das war ihr Wort geworden. Das Wort, mit dem sie ihre Unkenntnis von seinem Leben und ihren Respekt dafür zusammen fasste. Seine Arbeit als Vermittler für House- und Techno-DJs, seine Begeisterung für laute Orte und künstliche am Computer produzierte, hämmernde Musik. Mit dir in die Bumm-Bumm-Szene gehen, verschlüsselte sie ihre Absichten. So landeten sie nach dem Mexikaner im Hit-the-Sky („Wie alt bist du eigentlich, dass du das nicht kennst?“ „Älter als du.“ „Aber nicht viel.“ Schweigen.) und im neu eröffneten Pacha. Es hämmerte und bummte, und um sie herum stampften Kinder, die unter ersten Hormonschüben litten. Alle starrten Mona an und tuschelten über ihre Neigung zur Kinderschänderin. Oder fragten sich, was diese Tussi hier tue. Oder übersahen sie nur. Noris aber plauderte von seinen Plänen, den coolen DJ James aus London zu gewinnen, auf dass er hier auflege. Auflege, hey ja, alles aufmische. Ehm, wieso, was ist das Besondere daran? Wieso sind die Leute, die CDs auflegen, jetzt neuerdings Stars? Dass sie aber auch nicht einmal den Hauch einer Ahnung hatte. Mona fragte sich wirklich, ob sie bisher hinter dem Mond gelebt hatte.
Dankbar war sie Noris an diesem Abend. Dafür, dass er sie ernst nahm. Dass er sich bemühte, ihr die Hochs und Tiefs der House music zu erklären. Dass er sie nicht merken ließ, wie schwer sie von Begriff war, wie peinlich und fremd ihr Erscheinen in dem roten, vornehmen Gehrock, ihren höchsten Schuhen und ihren Seidenstrümpfen, in dem finsteren, hämmernden Schuppen unter all den Wollmützenjungs und Bauchfrei-Mädchen war.
Sie genoss seine Gesellschaft, und doch bekam sie Kopfschmerzen. Sie sehnte sich danach, mit ihm aus dem Hämmern und Lichtorgeln zu entfliehen. An einen ruhigen, kuscheligen Ort. Bugsierte ihn noch auf einen Drink ins Nachtcafe. Auf ihr Terrain.
Sie hat sein Bild im Kopf: Wie er da steht, mit den Ellbogen auf die Bar gelehnt, den Kopf neckisch schief gelegt. Wie er lächelt: kokett, geschmeichelt, hingebungsvoll. Wie er reagiert auf sie, eindeutig. Sie könnte schwören.
Sie kamen ins Gespräch mit einem vollbärtigen Mann. Hey, cool, die Band. Ja, das sei ja seine Zeit, grinste der Glatzköpfige. Er sei ja schon über 40. Mein Gott, Sie Ärmster! sagte Mona, dann grinste sie Noris an und hielt seinem Blick perfekt stand. Um ihren Kopf hüpften viele kleine rote 30er-Zahlen, und Noris schaute sinnierend auf ihren Mund.
Die Taxifahrt. Immer gewappnet für beide Möglichkeiten. Völlig cool aus dem Auto steigen, hey, ciao, bis wieder einmal! Oder in einem Hotel landen, einchecken...
Sie hatte getrunken. Genug, um nicht alleine sitzen zu können. Sich an ihn zu lehnen, an seiner Schulter zu liegen, so dass er mühelos ihrem Mund nahekommen konnte. Er küsste sie, und Mona drehte sich wie ein heftig gewirbelter Kreisel. Sie streichelte mit der Hand sein Bein hinauf.
Schöne Hose... sagte sie.
Hab ich in London gekauft, sagte er.
Es muss ja auch nicht gleich beim ersten Mal passieren, Mona! Was willst du, du hast einen Kuss. Sie stieg aus.
Wir telefonieren, sagte Noris. Und
Bist du an Weihnachten da?
Ja.
Gehen wir am 23. Aus?
Das war schon in einer Woche.
Gern.
Am nächsten Tag ging Mona einkaufen. Sie betrat einen Laden, den ihr Mann hasste. Billigkram! pflegte er zu schimpfen. Teeniemode!
Der Laden war voll von jungen Mädchen, die dabei waren, ihr Taschengeld auszugeben. Mona warf einen verstohlenen Blick in den Spiegel. Ok, sie musste sich nicht gerade mit der blondzopfigen Oberschülerin vergleichen, die neben ihr in den Glitzerkleidchen wühlte. Aber für ihr Alter, tröstete sich Mona über rote Flecken und Augenfältchen hinweg, für ihr Alter...Und der Gesamteindruck...Erst recht in diesem rosa Billigfummel mit den silbrigen Glitzerpunkten! Das war genau das Richtige. Das Richtige für den nächsten Abend in der Bumm-bumm-Disko. Oder um Noris bei sanftem Kerzenschein im Restaurant verwirrend in die Augen zu schaun...
Sie kam zwischendurch wieder zur Vernunft, durchaus. Und sie trug es mit Fassung, dass Noris am 23. bei seiner Mama war und auch am 26. nicht rechtzeitig zur verabredeten Zeit zurückkommen konnte. Na klar, die Mama geht vor. Und seine Freunde und seine Spielzeuge...
Was ist das für eine Art von Liebe, fragte sich Mona, als sie am zweiten Weihnachtsfeiertag auf dem Sofa lag, in ihrem rosa Glitzerkleidchen, einparfümiert, frisiert, rasiert, und auf seinen Anruf wartete wie ein verkleidetes Bonbon. Eine Zuneigung, die Rührung auslöste. Wie der Anblick einer Rose in den Augen eines Bettlers.
Rührung angesichts der nächsten email, die sie bekam.
Hey, Mona, bin gerade in Panama, James hat hier ein neues DJ-Office eröffnet. Voll super Wetter, Strand und Bumm-Bumm.
Und Rührung, als er eine Weile später schrieb, er werde Mitte Januar nach Berlin ziehen. Spontanentschluß. Klar, voll gut. Sie müsse ihn aber ganz oft besuchen. Logisch.
Da war sie noch die weise Verzichterin, die Mein-Gott-der-Junge-weiss-ja-nicht-was-er-tuterin, die Lassunsfreundebleiben-Loslasserin.
Der Schuss traf dann mitten in der Nacht. Sie war mit Freunden in einer Kneipe. Laut, voll, jung. Sie war zu Besuch in der Stadt. Sie ging nachts, nachdem sie das Freundschafts- und Weiterfeierangebot einer 17jährigen abgelehnt hatte, in ihr Hotel zurück. Sie entdeckte, dass sie eine sms bekommen hatte.
- Bumm bumm, wo bist du?
Noris. Aus Berlin.
Dann klingelte ihr Handy. Um 1 Uhr 50.
Hey, Schätzle!
Schätzle!
Hey, Noris!
Wo bist du, Schätzle? Ich dachte, du wolltest bald nach Berlin kommen?
Im Februar, Noris.
Oja, hoffentlich bald. Ich möchte dich endlich wieder sehen.
Der Funke. Die Zündschnur brannte. Und die Bombe würde explodieren. In Berlin. Im Februar. Ganz sicher. Und sie wollte es. Und wie sie es wollte.
Das Bier ist leer. Soll sie noch eins bestellen? Du wirst noch zur Alkoholikerin, Mona. Außerdem macht Bier fett. Und ändert nichts an der Situation. Tapfer steht sie auf, verabschiedet sich vom Badeschlappen-Portier und verschwindet für ihre letzte Nacht in ihrem schrägen Zimmer. Morgen wird sie mit Herzschmerzen aufwachen. Ein letztes Mal sucht sie Wärme unter dem Grau der Decke, atmet den trockenen Geruch ein. Echte Alt-Berliner Zimmer, heisst es draussen an der Tür der Pension. Um die zwölf Quadratmeter Decke zieht sich raffinierter Stuck. Von draussen dringt das Klingeln des Telefons durch die Tür, dann die tiefe Stimme des Portiers. James! Sicher liegt alles nur an diesem James! Musste er auch ausgerechnet an diesem Wochenende zu Besuch sein?

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 4288

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben