Mit geweiteten Augen, nur mit dünnem Hemdchen und Slip bekleidet, lag Sylvie gefesselt auf dem breiten Bett mit chinesischen Insignien an den Bettpfosten. Endlich, endlich waren wir allein, allein inmitten von Chinatown, falls ich das richtig mitbekommen habe; meine einschlägigen Sprachkenntnisse sind lückenhaft. Es ist stickig hier in diesem alten, schweren Kleiderschrank – nur durch ein paar kleine Ritzen hindurch kann ich das Geschehen rund um Sylvie überhaupt wahrnehmen. Die Ritzen im Schrank haben aber noch eine viel bedeutendere Funktion, nämlich, mich mit Luft zu versorgen. Luft ist ohnehin eine Rarität hier; Chinatown ist total überhitzt und sauerstoffarm, wie mir scheint; die Leute, egal ob es sich nun um gehetzte Börsenmakler oder um Hühnerverkäufer handelt, atmen schwer und keuchen bei der geringsten Anstrengung.
Ob Sylvie überhaupt mitbekommen hat, dass ich ihr bis hierher gefolgt bin? Vermutlich haben sie sie unter Drogen gesetzt; sie liegt seltsam entspannt auf dem grossen Bett. Ich höre ein Knarren gleich neben mir – vermutlich liegt dort die Tür. Ein hochaufgeschossener Mann stellt sich breitbeinig vor Sylvias Bett und spricht sie in verachtendem Tonfall an. Ich rücke näher an die Schranktür, um möglichst alles mitzubekommen. Er beugt sich über sie und untersucht ihren Mund. Mich schaudert; meine Berufskollegin wird geprüft wie ein Stück Vieh. Ob sie so ihren Wert festlegen wollen? Kalt schiebt er ihr zwei Finger zwischen die Lippen und verlangt, dass sie sich daran festsaugt. Mir schiessen die Tränen in die Augen; ich ertrage es nicht, wenn Sylvie ein weiteres Mal erniedrigt wird. Der Hochgeschossene lässt sie aber ansonsten unberührt, wendet sich mit einer arroganten Geste von ihr ab und verlässt den Raum.
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