Die Chinesin

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Die Chinesin

Die Chinesin

Yupag Chinasky

Die Verletzung war nicht schlimm, aber dennoch schmerzhaft. Er humpelte, musste sich schonen und zog es vor, allein in seinem Zimmer zu bleiben und die ätzende Langeweile auszuhalten. Dieses Zimmer lag im ersten Stock und er hätte vom Balkon aus den berühmten Blick auf das Tal genießen können, aber unter den gegebenen Umständen konnte man ihn allenfalls in den kurzen Perioden der Wetteraufklarung ahnen. So blieb ihm nur, den umfriedeten Hof des Hotels zu beobachten, in dessen Mitte eine pyramidenförmige Säule mit einem roten Stern auf der Spitze stand. Doch im Hof spielte sich nur selten etwas Bemerkenswertes ab. Manchmal ging jemand vom Personal in eines der Nebengebäude, zu den Essenszeiten konnte man die Restaurantbesucher kommen und gehen sehen. Neue Hotelgäste, die für etwas mehr Abwechslung hätten sorgen können, kamen natürlich wegen der Straßenblockade nicht. Ein Lichtblick wäre noch der Hofhund gewesen, ein schmutzig gelber Mischling, der nachts oft jämmerlich heulte, doch der hatte unter einer Plane einen halbwegs trockenen Platz gefunden und rührte sich nicht fort.

Am Sonntag änderte sich dann das Wetter und damit auch die Stimmung der Gruppe schlagartig. Der Regen hatte schon in der Nacht aufgehört und der Blick am frühen Morgen auf die frisch gewaschene Landschaft war in der Tat phantastisch und nährte die Hoffnung, dem Gefängnis am nächsten Tag entkommen zu können. Der Reiseleiter hatte zudem beim Frühstück angekündigt, heute die verschobene Wanderung zu den Höhlen zu machen und so redeten sie schon beim Frühstück wieder miteinander, akzeptierten die faden Dampfnudeln mitsamt der pampigen Soyasuppe, scherzten und lachten und waren zufrieden. Da der Ausflug den ganzen Tag in Anspruch nehmen würde, hatte die Küche Lunchpakete vorbereitet, kalten Reis, weiches Gemüse, harte Eier und marinierte Hähnchenschlegel.

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