Die Chinesin

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Die Chinesin

Die Chinesin

Yupag Chinasky

Ein winziges Handtäschchen lag neben ihr auf der Mauer. Die Frau und ihr seltsames, statisches Verhalten irritierte und faszinierte ihn und so stand er immer öfters auf, lehnte sich an die Brüstung und betrachtete sie. Auch sie hatte ihn, den einzigen Gast des Hotels natürlich wahr genommen, schaute zu ihm hoch, lächelte freundlich und winkte ihm zu, er möge doch zu ihr herunter kommen. Er winkte zurück und war über die Aussicht in Gesellschaft zu sein und mit jemandem reden zu können ganz froh. Mit dem altersschwachen Fahrstuhl fuhr er ins Erdgeschoss, durchquerte humpelnd die Eingangshalle und den Hof und setzte sich neben sie auf die Mauer. Doch schon nach sehr kurzer Zeit musste er feststellen, dass eine Unterhaltung nicht möglich war. Sie hatten keine gemeinsame Sprache und fanden nur sehr wenige Worte, die sie austauschen und verstehen konnten.

Aber ihr Lächeln funktionierte und mit Mimik und Gestik kam doch eine Art von Konversation zustande. So machte er ihr zum Beispiel vor, wie er sich seine Verletzung geholt hatte und erläuterte, warum er hier und seine Mitreisenden bei den Höhlen waren. Die Beschreibung, wie sehr ihn der ewige Regen der letzten Tage genervt hatte, gelang ihm so gut, dass sie herzlich lachte. Ansonsten sah sie seinen Bemühungen eher höflich interessiert zu und steuerte selbst nur wenig zu dieser Unterhaltung bei, die von zwei Taubstummen hätte geführt werden können. Und so erlahmte seine Gesprächsbereitschaft bald wieder und die Langeweile stellte sich erneut ein, obwohl er ja nun in Gesellschaft war. Eine ganze Weile saßen beide stumm und steif da und warteten, dass irgend etwas geschehen möge. Er hätte dieser Frau, die ihm nicht unsympathisch war, gerne vorgeschlagen, einen gemeinsamen Spaziergang durch den Ort zu machen. Da dies aber nicht möglich war, schlug er stattdessen vor, in der Hotelbar etwas zu trinken. Sie verstand seine Einladung, lächelte und nickte.

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