Er liebte es zu reisen. Meistens allein, manchmal in Gesellschaft, aber immer möglichst weit weg, zu exotischen Orte und auf der Suche nach ungewöhnlichen Erfahrungen und Erlebnisse. Bei einer dieser Reisen, einer Fahrt mit einer kleinen Gruppe in einem robusten Minibus durch das südöstliche China, hatte er ein solches Erlebnis, als sie gezwungenermaßen ein paar Tage in den Bergen verbringen mussten. Der Reiseplan sah einen Besuch der berühmten Yandong-Höhlen mit ihren frühen buddhistischen Wandmalereien vor. Diese Höhlen befinden sich in einem abgelegenen, schwer zugänglichen Tal und die letzte, anstrengende Wegstrecke kann nur zu Fuß von der kleinen Stadt Shancheng aus zurückgelegt werden. Heftiger Dauerregen machte jedoch einen Strich durch ihre Pläne. Er verhinderte nicht nur den Besuch der Höhlen sondern blockierte auch durch Erdrutsche die einzige Straße, die Shancheng mit der Außenwelt verbindet. Sie waren froh, überhaupt heil in dem einzigen Touristenhotel der Gegend angekommen zu sein und mussten sich nun in Geduld üben, bis das Wetter besser, die Höhlen besuchbar und die Straße wieder passierbar sein würde.
Laut Reiseführer lag die Stadt sehr schön am Südhang eines weiten Tales und der Blick von dem etwas außerhalb gelegenen Hotel auf die gegenüberliegenden, schneebedeckten Berge wurde ganz besonders gerühmt. Dies konnten sie jedoch nicht bestätigen, weil die ganze Umgebung im grauen Nebel des schier unaufhörlichen Regens absoff. Shancheng selbst war ein äußerst langweiliges Nest, besonders bei diesem Wetter, das alles Leben von der Straße in die Häuser verbannte. Von ihren sporadischen, kurzen Spaziergängen durch die engen, menschenleeren Gassen kehrten sie frustriert, frierend und vor Nässe triefend in das Hotel zurück, in dem sie nur eine Nacht verbringen wollten und das nun zu einem Gefängnis für eine unbestimmte, wenn auch hoffentlich überschaubare Zeitspanne geworden war.
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