Christinas zweite Geschichte

Fortsetzung von: Christina und der Kupferkessel

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Christinas zweite Geschichte

Christinas zweite Geschichte

Anita Isiris

“ „Wird Zeit, dass du zum Mann wirst“, hatte er zu seinem Sohn gesagt, und ich habe das mitbekommen, weil ich selber in der Kaschemme sass, ohne dass sie mich bemerkten, und so das Gespräch zwischen Vater und Sohn mitbekam. „Du kennst aber das Dorfgesetz, Sohn“, sagte Luzius‘ Vater mit Nachdruck. Du darfst Christina geniessen, so, wie ich es auch schon oft getan habe – ihr Punzerl aber musst Du in Ruhe lassen.“

Der Sohn erwiderte nichts, sah aber seinen Vater mit leuchtenden Augen an. „Du meinst… ich darf mit ihr…“

„Ja, mein Sohn, du darfst!“, bestätigte sein Vater, bezahlte die Zeche und machte sich bereit zum Aufbruch. Es war schon spät in der Nacht, und dem Ärmsten würde nicht viel Schlaf bleiben. Bereits um zwei Uhr in der Früh würde er wieder in der Backstube stehen und Teig für ein ganzes hungriges Dorf zubereiten müssen. Sein Sohn, der ihm üblicherweise zur Hand ging, durfte an seinem Geburtstag ausschlafen. Es kam sehr selten vor, dass Väter in diesem Dorf ihre Söhne mit Samthandschuhen anfassten – aber Luzius‘ Vater war eine Ausnahme.

Zu Frau und Tochter war er knüppelhart, verstand kein Pardon, wenn etwa die Backstube nicht gänzlich von Mehlstaub befreit war, nachdem er seine Arbeit getan hatte. Oft gab er ihnen nichts zu essen, er, der Bäcker, der ein ganzes Dorf versorgte. Seinen männlichen Zögling aber liess er an den Freuden des Lebens teilhaben – und er liess in der Kaschemme zwei Gulden für mich zurück. Meine Liebhaber zahlen nie direkt, musst du wissen, Rafael. Sie stecken das Geld immer in eine Blumenvase, die auf der wurmstichigen Kommode beim Eingang zur Kaschemme steht. Obwohl das Geheimversteck längst keines mehr ist, wurde das Geld noch nie entwendet. Männer halten zusammen, musst du wissen, mein Lieber.“

Beim Wort „Lieber“, stöhnte Christina auf. Rafael machte seine Sache gut und hatte ihr Poloch von Schokolade frei geleckt.

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