Claudia

Agnes' Haus der sündigen Engel

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Stayhungry

Die meisten jedoch wirkten frustriert, desillusioniert, weit entfernt von Aufbruchsstimmung und Abenteuerlust. Ihnen allen gegenüber wahrte sie den Grund ihrer spürbaren Zufriedenheit, die bei wohlmeinenden Bekannten wohl eher Neid als Sorge um ihren ungebundenen Status hervorrief, als Geheimnis. Für diesen Genuss entschwand sie der moralischen Enge ihrer kleinen Provinzstadt an Wochenenden und freien Tagen. In ihrem Umfeld tuschelte man über einen heimlichen, vermutlich verheirateten, womöglich gar prominenten Liebhaber, aber der Wahrheit kam niemand auch nur annähernd nahe.

Denn Claudia ließ sich als Göttin verehren.

*

Agnes nannte es den Zauber und Liebreiz scheißender Schönheiten. Eine derbe Ausdrucksweise lag ihr gemeinhin fern, aber manches konnte man nur in der Kombination von gefühlvollem Ausdruck und unverblümter Benennung treffend formulieren, dass sich dem Unkundigen die Vielschichtigkeit des Geschehens erschloss. Trotz der Verletzung gängiger Tabus gab es in diesem intimen Wechselspiel zwischen Voyeur und vermeintlichem Objekt der Begierde keine Über- und Unterordnung, kein Ausgeliefertsein, keinen Schmerz. Denn beide Parteien schlossen einen unausgesprochenen Pakt, in dem die betrachtende, nach Einblick lechzende Person vielleicht mehr von sich preisgab als der Mensch, der selbigen gewährte. Die wenigsten hingen der klassischen Perversion dieser zunächst doch unappetitlichen Spielart an. Auch Agnes konnte dem an sich nichts abgewinnen. Aber dieser Vorgang erforderte Entspannung und Anstrengung in wohldosiertem Zusammenspiel. Die Aufgabe der intimen Bezogenheit auf sich allein offenbarte, wie weit jemand ehrlich auf sich selbst blicken konnte, denn die Augen der anderen waren der Spiegel für das Selbst. Hier zeigte sich, wer wirklich feinfühlig mit dem anderen umzugehen in der Lage war.

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