Claudia erhält Asyl

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Claudia erhält Asyl

Claudia erhält Asyl

Anita Isiris

In den letzten Tagen war Claudias Herz eiskalt geworden. Sie hatte mit niemandem gesprochen, in der Wohnung alles entfernt, das sie an Marc erinnert hatte, und sie hatte kaum geschlafen. Sie hatte alles, was zwischenmenschliche Kontakte anging, von sich gewiesen. Ihre Patienten, sie sie in ihrer kleinen Physiotherapie-Praxis aufsuchten, hatte sie freundlich, aber mechanisch behandelt und sich in die Routine der Massagen und der Fangopackungen ergeben.

Aber irgendetwas erregte sie an diesem Fremden, der sich in der Dezemberkälte neben sie setzte und sie so unverwandt ansprach. „Yes, I am alone“, antwortete sie und schaute ihn an. Sie konnte sich seinem Blick kaum entziehen, und der Fremde hypnotisierte sie. „I am from Senegal“, sagte er, „my name is Johnbull“. Der Name zauberte ein Lächeln auf Claudias Lippen – die erste emotionale Regung seit Tagen. „Hello, Johnbull“, sagte sie. „My name is Claudia“.

„Come“, sagte er – und wenig später fand sich Claudia neben dem Schwarzen einher gehend, Richtung Stadt. Das Gehen tat ihr gut, und ihr wurde allmählich warm. Sie bekam mit, dass er in einer unterirdischen Anlage wohnte, zusammen mit 20 weiteren Männern, die aus Kulturen stammten, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Anscheinend reihte sich Kajütenbett an Kajütenbett, und er beschrieb sein Leben in der Unterkunft als ausgesprochen monoton.

Seine senegalesische Familie, Frau und zwei Töchter, war bei einem Anschlag getötet worden.

Claudia lud den Mann aus Senegal ins Starbucks ein, und die beiden kamen sich näher. Er legte seine grosse, schwere Hand auf ihre, und Claudia errötete. „Red flush, honey“, sagte er kennerisch. Er atmete tief durch, und er wusste: Diese kleine, süsse Frau würde binnen der nächsten Stunden ihm gehören, ihm ganz allein – bevor er sie in seiner Unterkunft mit den anderen teilen würde.

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