Auf die anschließende Party, oder das „Kollektive Vergessen“, wie ich es gern nannte, hatte ich so gar keinen Bock. Die Leute waren mir einfach über. Die Professoren, die mich noch vor zwei Stunden gequält hatten, die Kommilitoninnen, an denen ich mich über die Jahre gänzlich satt gesehen hatte, die Eltern, Geschwister und Freunde der Diplomanten, und all die intellektuellen Trittbrettfahrer, die sich für gewöhnlich auf derartigen Festivitäten herumtrieb. Ich hatte schlichtweg den Kanal voll. Ich beschloss mich direkt an die Bar zu begeben, mir zwei Flaschen „Merlot“ unter den Arm, unter später in den Kopf zu klemmen, und irgendwo, in einem leeren Hörsaal oder auf dem Dach der Bibliothek, meinem ganzen Ärger Luft zu machen, indem ich die frisch geleerten Flaschen, untermalt von einem herzzerreißenden Schrei, in weitem Bogen über den Campus warf und hoffte, dass sie einem der selbstgefälligen, arroganten und unflexiblen Inquisitoren der Neuzeit den Schädel zertrümmerten. Aber, wie so oft im Leben, kam alles anders.
Während ich in einer Wonne aus bevorstehendem Rausch süffisant in die Menge grinste, gesellte sich eine Kommilitonin aus dem letzen Matrikel an meine Seite. Ich weiß es nicht mehr. Ich kannte sie nur flüchtig vom Sehen. Sie war angeblich auf Bitten ihrer Freundin bei dieser peinlichen Veranstaltung und hörte auf den Namen Selina, was mir im Grunde genommen egal war. Ich wartete lediglich auf den Kellner, um die gewünschten Flaschen Wein zu ordern. Also nickte ich gelangweilt und reichte ihr die Hand. „Angenehm! Osbourne. Willkommen im Club der Nieten, Stümper, Looser und noch – nicht – genug – betrunkener Langweiler.“
„Warum so zynisch?“, fragte sie, „Du hast es doch geschafft. Schau dir bloß mal all die Frischlinge an, die hier rumhängen ohne auch nur einen blassen Schimmer davon zu haben, was ihnen noch bevorsteht. Oder all die hoffnungslosen Versager, die ihr Studium hingeschmissen haben weil sie die Erwartungen von Mammi und Daddy nicht erfüllen konnten. Heute hoffen sie etwas von dem Ruhm zu erhaschen, der ihnen versagt blieb und aus eurem Schatten auf sie abfärbt.“
Dachaufstieg
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