Dachaufstieg

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Osbourne Borough

Mit hochgezogener Augenbraue unterzog ich meine neue Leidensgenossin einer eingehenderen Betrachtrachtung. Mein Blick glitt abschätzend von ihren langen, blonden Haaren, die ihr gelockt über die Schultern fielen, über den sinnlichen Mund, mit den vollen Lippen, den weißen Hals, das eng anliegende, rote Kleid, die schier endlos langen Beine, bis hinunter auf die roten Stilethos. Sie sah aus als wäre sie soeben einem Modemagazin, vom Format Vogue, Cosmopolitan und Emma entsprungen - Zeig das du eine Frau bist, lass es alle wissen!
„Sorry!“, sagte ich, der sich eine zynische Bemerkung nicht verkneifen konnte, „Der Versage-Empfang ist drüben im Rathaus, und zwar morgen!“
„Es war doch eine gute Idee hier rüber zu kommen.“, antwortete sie amüsiert und kein bisschen beleidigt, „Ich bin nicht wegen dir hier. Ich wollte mir lediglich etwas zu Trinken holen, da man ja an den Tischen hier nicht bedient wird.“ Dabei war von einem Augenblick auf den Nächsten jedes Zeichen von einem Lachen verschwunden.
Ich schluckte und erwiderte: „Hätte mich auch gewundert...!“, hielt kurz inne, „Wenn dich der Kellner dort drüben vor mir bedient hätte, wo ich doch hier seit geschlagenen zwei Minuten mit Fünfzig Mark winke.“
Daraufhin musste sie lachen. Dieser Heiterkeit vermochte auch ich mich nicht länger zu entziehen.
„Wollen wir diesen Schlagabtausch nicht auf dem Dach eines Wagens fortsetzen!“, schlug sie vor.
„Ja, und ich wüsste auch schon welcher. Professor Kühnle schwärmte doch immer von seiner Vorliebe für Tessiner Merlot. Vielleicht kann ich ihm eine Flasche in das Verdeck seines Porsche stecken, als visuelle Metapher sozusagen ...!“, ich zeigte ihr kurz den ausgestreckten Mittelfinger, „... vorausgesetzt der Kellner findet heute noch mal den Weg hierher.“, dabei blickte ich mich Hilfe suchend am Tresen um.
Selina langte kurzerhand hinter die Bar, schnappte sich zwei Flaschen Sauvignon und steuerte zielgerichtet auf den Ausgang zu. Ich schüttelte den Kopf, schmunzelte und eilte ihr nach. Bereits auf dem Flur hatte sie einen Korkenzieher von einem der Beistelltische organisiert, die rund um das Büffet gruppiert waren. Sie warf mir einen Blick über die Schulter zu und fragte, nur mehr rhetorisch: „Brauchen wir Gläser?“, was ich mit einem Kopfschütteln verneinte.

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