Wenn ich das Foto anschaue, kommen die Erinnerungen zurück. Larissa mit ihren rotbraunen Locken, die ihr bis tief in die Stirn fallen. Ihre klugen, wachen Augen, die immer zu blitzen scheinen, wenn sie einen anlächelt. Wir waren so um die achtzehn damals, gingen in dieselbe Schule. Larissa war in der Parallelklasse, weswegen ich mich ärgerte. Sie war so ein verflucht hübsches Mädchen, in das ich total verschossen war. Larissa schien immer fröhlich zu sein. Sie lachte meist, strahlte ihr Gegenüber aus ihren nussbraunen Augen an. An diesem sonnigen Novembertag war alles anders. Ich sah Larissa wie immer nach der Schule an der Bushaltestelle. Sie wohnte etwas weiter entfernt, weshalb sie mehrere Stationen mit den Öffentlichen zurücklegen musste. Ich fuhr mit dem Rad immer einen kleinen Umweg, um meiner Angebeteten noch einmal kurz zuzuwinken. Zu mehr traute ich mich nicht. Ich sah gleich, dass sie geweint hatte, obwohl Larissa versuchte sich nichts anmerken zu lassen.
Ich stellte mein Rad ab, entgegen meiner sonstigen Gewohnheit. Es waren kaum andere Schüler an der Haltestelle und die paar wenigen gehörten zu den unteren Klassen des Gymnasiums. Ich nahm meinen Mut zusammen, setzte mich neben Larissa auf die Bank. Sie errötete leicht, als ich sie fragte:
„Hast du Ärger gehabt? Entschuldige, aber du siehst irgendwie traurig aus…“ Ich verfluchte mich schon für meine aufdringliche Fragerei, als mir Larissa mit einem gezwungenen Lächeln antwortete.
„Der Ärger kommt noch…wenn ich zuhause bin. Wir haben heute die Mathe-Arbeit zurückbekommen. Ich hab eine glatte Fünf. Meine Mutter wird stinkesauer auf mich sein…“
Larissa schluckte, fing dann zu Schluchzen an. Ich verstand gar nicht, weshalb sie so aufgewühlt war.
Klar, über einen Fünfer freuten sich auch meine Eltern nicht gerade. Dass ich aber deswegen so traurig sein könnte, schien mir undenkbar zu sein. Ich spürte, dass da noch etwas anderes sein musste.
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