Ihm fiel sofort die Assoziation zu einer mittelalterlichen Schmerzensmadonna ein, einer Maria inmitten einer weißen Blumenpracht und vor einem geheimnisvollen, dunklen, glitzernden Hintergrund. Er war erstaunt, wie Grund verschieden die beiden letzten Serien waren, wie völlig anders diese Geisha auf ihn wirkte. Trotz der deprimierenden Botschaft fand er Gefallen an diesem rührenden, zutiefst melancholischen Bild. Doch als dann die letzte Serie eintraf, war er perplex. Diese Bilder waren grandios. Er musste die Kunst des Fotografen neidlos anerkennen. Die Szenen, die auf seinem Monitor erschienen, waren fulminant und aufregend. Erschreckend und faszinierend. Allerdings war ihm nicht klar, ob sie echt oder gestellt waren. Rannte der Alte mit verzerrtem Gesicht, ein Schwert über dem Kopf schwingend, tatsächlich in böser Absicht hinter der Geisha her, die ihren Kimono hinter sich herzerrte? Wenn sie inszeniert waren, mussten beide großartige Schauspieler sein. Aber das konnte nicht sein, dazu war die Wut in den Augen des Jägers und die Angst in denen der Gejagten viel zu echt, ihre verzerrten Mienen, ihr Blicke, in denen Angst, Wut und Hass eine fatale Symbiose eingegangen waren. Der digital artist war fasziniert von der Intensität der Bilder, die teilweise verschwommen, selektiv unscharf, farblich verzerrt in ihrer Aussage aber höchst präzise und ausdrucksstark waren. Es war eine wilde, gnadenlose Verfolgungsjagd in einer irreal schönen, jungfräulich reinen Blumenwelt, einer Welt, die auf jedem weiteren Bild mehr und mehr zerstört wurde. Das Motiv, die Angst einflößende Verfolgung eines Menschen, verbunden mit einem Gemetzel an unschuldigen, jungfräulichen Blüten und das sinnlose Zerstückeln eines kostbaren Kimonos war in den Augen des digital artists große Kunst, ob die Verfolgung nun real oder inszeniert war. Manchmal tauchte in den Bildern auch noch eine entgeistert dreinblickende Frau auf, die das grausige Geschehen vom Rande aus verfolgte und deren Rolle ihm nicht ganz klar war, die aber in dem Kunstwerk eine wichtige Rolle spielte, eine Zeugin, die dem Geschehen noch mehr Realität verlieh. Er würde reichlich zu tun haben, ehe aus diesem Rohmaterial die Kunstwerke entstanden, die ihm vorschwebten: Bilder in Schwarz-Weiß, Bilder voller Dynamik, voller Emotionen, Darstellungen der Abgründe des Lebens, Ikonen des Grauens und der Angst umgeben von Schönheit. Er richtete sich halb auf, fasste wieder über sich, griff nach der schon halb leeren Flasche, nahm einen tiefen Zug Whisky und wartete, dass ihn der Alkohol zu neuen, kreativen Höchstleistungen führen würde.
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