Frauen 10 Uhr morgens - so hieß in K. 's Jugend ein sympathischer Bildband mit ungezwungenen, nicht gestylten Akten. Und genauso lag Carolin nun nackt vor ihm im Licht der Morgensonne an diesem Sonntag Morgen. Sie hatte sich abgedeckt, die Hitze dieses Sommers war schon jetzt unerträglich. Über ihren Rücken verlief entlang der Wirbelsäule ein Tattoo mit einer Reihe kleiner chinesischer Schriftzeichen bis hinunter zur Pofalte, die ihre prächtigen Backen teilte. Er hatte schon wieder Lust auf sie, aber durfte er sie gleich mit Zudringlichkeit wecken? Gewiss, letzte Nacht hatte sie ihm wenig Einhalt geboten, aber galt dies bei ihr uneingeschränkt oder nur in jenem besonderen Rahmen?
K. wurde melancholisch. Jetzt, als er sie an diesem traumhaften Morgen vollkommen unbemerkt in aller Ruhe betrachten konnte, wurde ihm bewusst, wie jung sie war, wesentlich jünger als er. Das hatte ihrer Begegnung bisher nicht geschadet, aber die bewegte sich in einem Raum außerhalb ihrer alltäglichen Leben und folgte anderen Gesetzen. Daria hieß sie in dieser anderen Welt, doch nun lag sie erstmals in seinem Bett und ihr friedlicher Schlaf in dieser Idylle weckte bisher fremde, zart romantische Gefühle in ihm. Sie wurde unruhig, blinzelte, erkannte das Schlafzimmer als fremd und drehte sich um. Als ihr Blick auf ihn traf, stutzte sie kurz, überlegte und lächelte dann. Guten Morgen, flüsterte sie schlaftrunken und lächelte ihm verkniffen zu. K. wusste gar nicht, wie er sie nennen sollte. Als Carolin hatte er sie noch nie angesprochen, nur als Frau Hartmann. Geduzt hatte er sie nur als Daria. Er entschied sich, dabei zu bleiben. Im Zorn konnte Daria ja durchaus unangenehm werden.
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Daria hatte K. 's Buchung für eine ganze Nacht angenommen und die weite Fahrt zu Agnes' Haus überwiegend dösend neben ihm verbracht. Eine gelegentliche Unterhaltung verlief, anders als bei ihrer letzten Begegnung, konfliktfrei.
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