Da hatte ich keine Chance mehr für irgendeine Reaktion. Der erste Punkt ging also an meine Gegnerin. Und mit ihm ging für den Bruchteil einer Sekunde auch all meine kühle Selbstbeherrschung und wich unter dem Jubel der Damen und dem weniger erbauenden Gemurmel der Herren, tiefster Verzweiflung und Selbstverachtung. Aber in diesem Sekundenbruchteil war es mir plötzlich klar: Ich focht gar nicht gegen ein Mädchen aus der Gruppe, sondern gegen die junge, hübsche Trainerin aus Frankreich, deren Perfektion ich schon oft bewundert hatte. Wir hatten sogar schon einige male lange, intensive Blicke miteinander gewechselt. Und Gott allein weiß, warum ich nie den Mut aufgebracht hatte, sie anzusprechen. Wahrscheinlich hatte es daran gelegen, dass ich bisher eine Freundin gehabt hatte. Und abgesehen davon, dass ich längere Zeit in dieser Beziehung verbracht hatte, war ich doch auch immer noch gnadenlos schüchtern, wie ich mir jetzt selbst eingestand. Aber ich hatte keine Zeit, um mich weiter diesem Gedankengut hinzugeben. Das Duell ging weiter.
In jeder Art von Kampf ist es von Vorteil, seinen Gegner zu kennen. Und ich fühlte mich durchaus in der Lage, diesen Vorteil für mich zu nutzen. Ich war kein Anfänger mehr. Ich focht, wie schon erwähnt, seit einem knappen halben Jahr und hatte diesen Sport für mein Gefühl absolut verinnerlicht, ohne dabei aber der Meinung zu sein, dass ich nicht noch etwas dazulernen konnte. Jedenfalls konnte ich die Gefährlichkeit und den Stil meiner Gegnerin ganz gut einschätzen. Und als es in die zweite Runde ging, war ich wieder voller Ehrgeiz, die soeben erlittene Scharte wieder auszumerzen. Der Kampf ging weiter, schneller als das Auge, und bei ihrem nächsten Ausfall ließ ich Sophie, so hieß die schöne Lehrerin, voll in mein Florett laufen. Der Punkt ging an mich. Sie nickte anerkennend und ich antwortete in der gleichen Weise. Auch der nächste Punkt ging an mich.
Das Duell
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