Das Fest der Glockenbrustbäuerinnen

19 14-22 Minuten 0 Kommentare
Das Fest der Glockenbrustbäuerinnen

Das Fest der Glockenbrustbäuerinnen

Anita Isiris

Ist jemand nicht wortgewandt, gilt er als dumm oder gar als oligophren.

Was niemandem bewusst war, war Melchiors enorme Beobachtungsgabe. Beobachten war seine Leidenschaft. Er beobachtete, wie die Kühe ihre Kälber warfen. Er beobachtete das Reifen der Ähren auf den Feldern. Er beobachtete Stines Lust, wenn Kunibert, ihr Mann, unter ihren Röcken zugange war. Stines gerötetes Antlitz. Ihr Stöhnen. Ihre Hände, die sich in die Tischkante krallten, während ihr Göttergatte sie über dem grob gezimmerten Küchentisch von hinten nahm, mit wohligem Grunzen. Melchior war nicht nur ein exzellenter Beobachter mit gutem Gedächtnis, er verstand es auch vorzüglich, sich zu verstecken, damit er dem Treiben ungestört und unerkannt beiwohnen könnte.

An Baumdorf, so hiess die Häuseransammlung, erinnert heute nichts mehr. Das Dorf war aber im Grunde inmitten eines Paradieses gelegen. Während allenthalben Kriege tobten, war Baumdorf anscheinend gefeit vor marodierenden Söldnern, Räubern und derlei Gesindel. Die Baumdorfer ergötzten sich an prallen, geschmackvollen Braunpilzen, die von den Frauen zu unvergleichlichen Suppen verarbeitet wurden. Zu Mehl verarbeitete Ähren gab es in Hülle und Fülle, ebenso schmackhafte Äpfel und Rüben. Die Baumdorfer konnten sich somit über nichts beklagen – bis eines Tages Kunibert, Melchiors Herr, sein Feld nicht mehr bewirtschaften konnte und kläglich dahinsiechte. Je schlechter es ihm ging, desto mehr erblühte seine Frau Stine. Sie entspannte sich sichtlich, ihr Gang war wiegend und rhythmisch, und eines Tages entdeckte Melchior sie in der Scheune, mit einer gut gewaschenen Rübe an sich spielend.

Aber Melchior hatte noch etwas anderes beobachtet. Kurz bevor sich Kunibert rülpsend an den Mittagstisch setzte, hatte Stine seinem Dünnbier eine Löffelspitze mit einem weisslich-schwarzen Pulver zugegeben, das sie einem prall gefüllten Leinensäckchen entnahm.

Klicke auf das Herz, wenn
Dir die Geschichte gefällt
Zugriffe gesamt: 7247

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.

Gedichte auf den Leib geschrieben