Das Interview

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Das Interview

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Chloé d'Aubigné

Ich starrte frustriert auf die E-Mail meines Chefredakteurs und seufzte tief. Meine Finger trommelten nervös auf der Schreibtischplatte, während ich meine Brille zurechtrückte. Eine Brille ohne Korrekturgläser, nur mit Blaulichtfilter. Dennoch trug ich sie regelmäßig, um seriöser und auch etwas unnahbarer zu wirken. "Ein Interview mit einem Parfümeur? Ernsthaft?", murmelte ich und spürte, wie sich meine Stirn in Falten legte.
Als angehende Gerichtsreporterin hatte ich mir meine Karriere anders vorgestellt. Monatelang hatte ich daran gearbeitet, mir einen Ruf als ernstzunehmende Journalistin aufzubauen, trotz – oder vielleicht gerade wegen – meines Aussehens. Ja, ich achtete auf meinen Körper, betrieb regelmäßig Sport und achtete auch darauf, meistens gesund zu essen. Dies war ich mir selbst schuldig, so dachte ich mir. Gleichzeitig hatte dies zur Folge, dass ich eine Figur hatte, um welche mich viele Frauen beneideten. Und welche die Blicke vieler Männer quasi magisch anzog. Schlank, aber nicht zu dünn, mit langen Beinen. Meine Brüste waren eher klein, aber sie passten gut zu meinem Körper. Sie waren die klassische «Handvoll», die, wie ich schon früh gelernt hatte, für viele Männer genau richtig war. Da ich auch über ein konventionell hübsches Gesicht verfügte und lange braune Haare hatte, war ich durchaus attraktiv. Natürlich genoss ich dies und wollte es auch nicht ändern. Aber im Beruf stand mir mein Aussehen manchmal im Weg. Man betrachtete eher meinen Körper, als meinen Worten Aufmerksamkeit schenkte.
Um dennoch ernst genommen zu werden und mir selbst sicher sein zu können, dass ich aufgrund meiner Fähigkeiten Karriere machte, nicht aufgrund meines Äußeren, kleidete ich mich etwas strenger und zugeknöpfter als nötig. Und strebte auch immer die jeweils anspruchsvollsten, manchmal auch die trockensten, unweiblichsten Aufträge an, die ich bekommen konnte.
Und jetzt das – ich war auf dem Weg, die Beauty-Maus des Teams zu werden. Ja, ich wurde immer mehr in diese Rolle gedrängt, obwohl ich zuvor meine Rolle als Gerichtsreporterin gut ausgefüllt hatte. Aber aktuell gab es leider mehrere Gerichtsreporter, aber niemanden für «Beauty», weil die Kollegin, die diese Position innegehabt hatte, kürzlich gekündigt hatte. Und als junge Frau schien ich für viele die logische Nachbesetzung.

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