Ole kämpfte innerlich mit sich, und er entsann sich des Versprechens, das er dem Hirschmann gegeben hatte. „Du wirst mir Annina vollständig überlassen müssen.“ Darum hätte er jetzt die Berührung von Anninas Hand nicht ertragen, er musste sich innerlich von ihr distanzieren, demnächst würde sie dem Hirschmann gehören, und zwar ganz. Was auch immer das bedeutete.
Dann fasste er sich ein Herz. „Kommt“, sagte er, „wir schliessen uns denen doch einfach an“. Wenige Minuten später waren sie Teil der Hirschmann-Kommune, die sich tänzerisch durch den Wald bewegte, entlang einem verlassenen und überwucherten Pfad. Viele Frauen hatten nackte, bemalte Oberkörper, und ihre Brüste schwangen im Gleichtakt mit den dumpfen Trommeln. Einzelne waren sogar völlig nackt, ebenso die Männer, die alle eine auffällige Kopfbedeckung aus Fell trugen. Beim näheren Hinschauen waren es zurecht geschneiderte Rehkitzfelle. Annina schauderte. Viele hatten mystische Zeichen auf den Wangen, etliche Frauen hatten ihre Handrücken mit Henna-Ornamenten verschönert, etwas, dass sich Silja und Annina schon lange vorgenommen hatten. „Henna ist der Frau schönster Schmuck“, hatte ihnen einmal ein Marokkaner erklärt, als er den beiden Freundinnen Hennapulver und einen feinen Stift verkauft hatte. Silja hatte sich schon überlegt, ob sie sich einmal die Brüste mit Henna verzieren sollte, um Sven zu überraschen, und irgendwann würde sie es wohl tun.
Dann wurden die Vier im Reigen des Rhythmus mitgerissen, sie wurden Teil des Ganzen, Ole zog kräftig an einer Knille, die ihm ein junger Mann mit düsterem Blick gereicht hatte. Einige Frauen breiteten die Arme aus, drehten sich im Kreis, und die Männer tanzten um sie herum, Derwischen gleich. Bei aller Naturnähe hatte die Prozession etwas ausgesprochen Sexuelles an sich, eine Aura, eine Kraft, die Ihresgleichen suchte.
Das Ritual
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