Das Duell

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Das Duell

Das Duell

Joe Ann Sorell

Ich war nervös, als ich meine Stola eng um mich wickelte und dem Chauffeur zur großen schwarzen Limousine nach draußen folgte. Die Straßen waren verlassen, der eisige Winterwind fegte durch die Straßenschluchten Chicagos und meine Absätze hallten auf dem Pflaster. Schwungvoll wurde mir die Autotüre geöffnet und ein Schwall warmer Luft kam mir entgegen. "Sie gestatten?" fragte der Chauffeur mit neutraler Stimme und hielt mir eine schwarze Augenbinde hin. Ich drehte meinen Kopf, spürte den Stoff an meinem Gesicht und die Welt versank in Dunkelheit.
Seltsam, wie intensiv alle anderen Sinne arbeiten, wenn die Augen verbunden sind. Die Fahrt kam mir ewig vor. Ich spürte die weichen Ledersitze unter mir, zupfte mein enges schwarzes Kleid über den Seidenstrümpfen zurecht. Die Sitze rochen vage nach Tabak und Vanille, der Motor der Limousine röhrte in einem beständig-tiefen Ton. Beruhigend. Ich versuchte, mich zu entspannen. Ob es ein kluger Schachzug gewesen war, dieses verführerische Kleid anzuziehen? Den weinroten Lippenstift aufzulegen, der meine Zuhörer immer wahnsinnig machte? Ob es wirklich weise war, sich alleine mit ihm zu treffen?
Er sei ein Gentleman, munkelt man. Nein, ein Italiener, ein grobschlächtiger Stahlarbeiter, sagen andere. Niemand, den ich kenne, hat ihn jemals gesehen. Vielleicht findet man es auch einfach besser zu schweigen, wenn man ihn gesehen hat. Warum er gerade auf meine Anfrage geantwortet und mich eingeladen hat, weiß ich wahrhaftig nicht. Der "Rote Salon", für den ich seit Beginn der Prohibition die Bücher führe, in dem ich die Mädchen trete, wenn sie faul sind und für den ich immer wieder auf verschlungenen Pfaden neuen Whiskey besorge, ist wahrhaftig keine bedeutende Abnahmequelle. Für ihn doch nicht bedeutender als ein Glas Wasser im Lake Michigan oder ein sterbender Hund in den Schlachthäusern an der Waterfront.
Das Auto hält. "Miss Sorell? Wir sind da." sagt der Chauffeur. Die vordere Autotür öffnet und schließt sich. Dann wird neben mir die Tür der Limousine geöffnet. Unpersönliche Hände knüpfen die Augenbinde auf, helfen mir aus dem Auto und halten mich fest, als meine Absätze auf einer Schicht blanken Eises ausrutschen wollen. Er zeigt auf eine schäbige Tür unter einem abgeblätterten, nicht mehr entzifferbaren Schild. "Salon de B..." versuche ich zu lesen. "Er wartet dort drinnen. Sie sollten sich beeilen."

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