Das Fenster

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Das Fenster

Das Fenster

Anita Isiris

Er hasste sogar John Lennon und beglückwünschte heimlich dessen Mörder.
Für Lukas kam nur ein strenger Orden in Betracht - er dachte an den Zisterzienser- oder Kapuzinerorden. Er suchte einen straffen Zeitplan und eine strenge Führung, damit nichts ihn mehr von seinem Glaubenspfad ablenkte. Ausserdem war so für seinen Unterhalt gesorgt und er war nicht mehr auf die Almosen von Staat und Eltern angewiesen.
Gedankenversunken machte er sich am Abend auf den Heimweg, gedankenversunken stieg er die vielen Treppen zu seiner Mansarde hoch, gedankenversunken setzte er sich an seinen Schreibtisch. Es war bereits dunkel, die gegenüberliegende Hauswand wurde von einer Strassenlampe schwach erhellt. Lukas fror, denn ein eisiger Wind blies durch die Holzritzen des Fensters, die sich im Laufe der Zeit verzogen hatten. Die Ritzen hatte er immer wieder mit Zeitungspapier verstopft, aber die Kälte liess ihn trotzdem nicht in Ruhe.
Da war es wieder. Diesmal nicht nur das Gesicht, die Augen, in denen ein sehnsüchtiges Feuer brannte, sondern auch der Hals und die entblösste Schulterpartie. Reglos sass Lukas da. Es schien ihm, als formten die Lippen der geheimnisvollen Frau die ganze Zeit über ein Wort, und jedes Mal, wenn es ausgesprochen war, beschlug sich das Fenster gegenüber. Lukas war es mit einem Mal, als spüre er ihren Atem. Gebannt blickte er auf den Mund der jungen Frau, nachdem sie mit einer langsamen Bewegung das Kondenswasser weggewischt hatte. "K...o...m...m...". Sie bewegte die Lippen jetzt deutlicher, so dass Lukas jedes Wort erkennen konnte, das sie formte.
"Man...hat....mich...zur...Hexe...erklärt...damals...und...verbrannt...komm...liebe mich!"
Lukas wurde von einem tiefen Grauen gepackt, konnte aber nicht anders, als immerfort hinüberzustarren. Wieder löste sich das Mädchen im Nichts auf, und bald darauf erlosch das Licht.

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