Das Sizilianische Buffet

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Das Sizilianische Buffet

Das Sizilianische Buffet

Juerg Kilchherr

Dort, wo die Natur das ganze Jahr grosszügig ist, wo Zirruspflanzen, Mandelbäume, Feigenkakteen im Frühjahr blühen und wo das Gemüse, Getreide und die Früchte aller Art auch im November noch von aussergewöhnlicher Qualität sind, liegt zwischen drei Meeren - Sizilien.
Gustav würde auf diesem Wochenendtrip den Verleger seiner Illustrationen zu einem Kochbuch persönlich kennen lernen, indes Juans Leidenschaft am Flughafen von Palermo eine Schönheit entfachte.
„Italienerinnen sehen immer so aus, als ob sie jemanden verführen oder von jemandem jederzeit verführt werden“ spottete Juan als sich eine Autotüre öffnete und Zwillinge dem Wagen entstiegen.
„Die Schwester meines Verlegers ist nicht nur hübsch, sondern auch eine grossartige Köchin“, fügte Gustav hinzu und Juan witzelte: „Willkommen zum erotischen Buffet.“ Gustav kniff seinem Freund in die Arme, als er ihm Davide Aragonia und seine Schwester Isabella vorstellte. Wäre der Geschlechterunterschied nicht gewesen, ihre kleinwüchsigen Körper, die lebhaften Augen, das schwarze Stoppelhaar hätte keinen Unterschied zugelassen.
„Bevor wir zu unserem kleinen Verlag fahren, will meine Schwester Isabella noch auf dem Vucciria, dem Markt vor der Kirche San Domenico einkaufen.“
„Sie begleiten mich doch meine Herren, oder?“
Juan vernahm von Isabella auf dem Markt, dass wer diese Insel verstehen will, am besten kulinarisch die Perioden ihrer Fremdherrschaften kennen lernt.
„Denn nirgends trifft die Beschreibung, dass Märkte den Duft der Städte und ihres Genusses beschreiben besser zu als hier.“

Isabella hatte Recht. Palermos Märkte sind anders. Ganze Strassenzüge mit Ständen und Geschäften ähnlich einem orientalischen Souk boten ein überwältigendes Angebot an. Bereits am Eingang zum ältesten Markt Europas stand ein Händler am Brunnen mit lebenden Muscheln, die an einem Stand mit frischer Polpo gekocht und den Passanten mit Zitrone serviert wurden.
„Von den Griechen blieb der Geschmack der Oliven, der salzige Ricotta, Fisch und Lamm vom Grill. Die Römer gaben uns die gefüllten Sepien, die gebackenen Zwiebeln vom Ofen, ein Püree aus Saubohnen, das mit Gewürzkräutern in aromatisierten Wasser gekocht wird, auf den Teller.
„Von den Arabern habt ihr sicher den Cousous wie wir Spanier.“ warf Juan ein.
„Richtig. Aber auch die Süssspeisen für das Sorbett. Man sagt, unsere Urgrossväter hätten Schnee vom Ätna geholt und mit den Essenzen von Zitrusfrüchten, Obst und Blüten vereint für das weltberühmte Gelato.“
„Sie werden mir sicher die Gelegenheit bieten diese köstlichen Beschreibungen auch mal auszuprobieren?“
Isabelle nickte, lächelte: „Sie mögen Süsses?“
Juan verdrehte die Augen. Sie liebte es wie der Spanier versuchte ihr zu gefallen. Er trug ihren prall gefüllten Einkaufskorb zur nächsten Osteria. Nippte mit den Anderen am Zibbibo di Pantelleria, einem Süsswein aus getrockneten Trauben, vergass Gustav ganz neben sich und dachte „Isabellas Küche ist meine Simulation.“
Gustav wurde stiller, hörte den konkurrierenden Rufen der Händler, einer Mischung aus kulinarischer Lobpreisung und Arie, die den Preis des Produkts gleich mitsingt, zu. Sein Blick schweifte zu den Gebäuden rund um den Platz, wo der Verputz abfiel. Die Zeichen der wirtschaftlichen Rückständigkeit verursacht durch die Schattenwirtschaft, trübten den ersten Eindruck aber nicht, dass die Sizilianer die Tafel mit Opulenz und Pracht dekorierten, damit sie die blutige Spur der Mafia beim Essen vergassen.
Zwar seien die „lupara bianca“, die weissen Tode, eine Methode der Mafia sich lästiger Leute zu entledigen, rapide zurückgegangen, doch die Vergangenheit könne diese Insel nie loswerden, erklärte Davide leise.
Gross und laut wie alle sizilianischen Familien war der Empfang im Elternhaus des Verlegers. Juan fürchtete seine Avancen gegenüber Isabella würden enden, wenn Mama weiter so viel sprach. Doch dann öffnete Isabella nach einer Stunde die Türe zur Zweitwohnung, wo sie und ihr Bruder lebte.

Die Palette an Gerichten und Kreationen, die Isabella über die nächsten Stunden für das Abendessen zubereitete war aussergewöhnlich. Mit jeder Handbewegung erfand der cuoco siciliano mit wundervollen Rohstoffen, Geschicklichkeit und präziser Suche nach visueller Darstellung eine Kunst an Düften, Farben, Formen für den Gaumen. Dabei sang sie Schlager aus einem halben Jahrhundert. Es war unmöglich zu sagen, was die Luft stärker erfüllte, die Aromen der Zutaten oder das herbe Sexaroma. Juan fühlte sich voller Leben, während Gustav immer schwermütiger wurde.
Der erste Gang, also das, was den grössten Hunger lindern und gleichzeitig die Spannung auf das Hauptgericht steigern soll, waren Sardellen, Tapani und Nudeln mit Schafskäse.
Für das Hauptgericht ging Juan Isabella zur Hand, indem er ein Huhn ausnahm. Als seine Hand in den Hohlraum des toten Tieres drang, konnte er sich nicht ein Schmunzeln verkneifen, sagte er sich doch immer, dass drei Dinge beim Eindringen in eine Frau besonders angenehm sind: die Körperwärme, die Feuchtigkeit und eine eng anliegende Scheide.
Von Zeit zu Zeit warf Isabella einen raschen Blick von ihren Kochtöpfen auf Juans Körper. Am meisten beeindruckte sie seine Haut, die zugleich glatt und rau, wie Wildleder oder feiner Sand wirkte, über seine Knochen und Muskeln sich spannte, nach ihr lechzte. Gern wäre sie zu ihm hinübergeeilt, hätte gebettelt, er möge ihr all die aufregenden Dinge zeigen, die ihn in Gedanken seit seiner Ankunft so erregten. Stattdessen konzentrierte sie sich wieder auf die Arbeit. Schnitt Pergamentpapier, wallte Ton zu einer dicken Platte aus, umhüllte das gewürzte Huhn damit, verschloss die Enden mit Erde.
Nach einer Stunde nahm sie einen Holzhammer, zerbrach das Gefäss, verblüffte ihre Gäste, als sie zwischen Tonscherben ein saftiges Huhn tranchierte. Langsam schloss sie ihren Mund, umschmeichelte den Bissen mit ihrer Zunge, fing langsam zu kauen an, tastete die Beschaffenheit des Essens im Inneren des Mundes, schluckte das Zerkaute hinunter. Warf das Knöchelchen in die Schale, führte die Fingerspitzen zum Mund und begann sie abzulecken. Juan öffnete seinen Mund, sie sah seine Zunge, die alle ihre Wünsche zum Ausdruck brachte für die kommende Nacht.
Ein Feuer, das dem des leuchtenden Weines glich, dessen Anblick mit tausend Funkeln langsam den Betrachter beglückt, so gab Isabellas Körper Juans Genitalien ihre Intelligenz zurück, als er ihre Kleider ablegte. Seine ganze Persönlichkeit und sein Selbstbewusstsein waren darauf aufgebaut, sich im Sex wahrzunehmen. Doch er besass dieses Mal die Geduld, der Frau klarzumachen, dass der erste Schritt beim Liebemachen ist, zu sich selbst zurück zu kommen und nicht mit der Aufmerksamkeit nur beim anderen zu sein.
Er formte seine Hand zum Löffel, goss ein wenig Öl hinein.
Es schien, als seien ihre ersten Reaktionen auf seine Berührungen vom Zustand des langen Wartens, dem jahrhundertlangen Missbrauch der Frauen durch Männer von Härte getrübt. Doch dies erwies sich lediglich als eine zeitliche Erscheinung bis Juans Streicheleinheiten ihren Körper energetisch aufbauten, der innere Widerstand brach, ihr die Massage Zeit, Bezogenheit und Leben gab. Zuerst langsam und dann in immer schnellerem Tempo glitten seine Hände vom Kopf über ihren Hals, bis seine Liebkosung schliesslich auch noch die entferntesten Regionen ihres Körpers in Schwingungen versetzte. Seine Hände folgten dabei einem sich langsam steigernden Rhythmus, dessen Intensität er gleichmässig in die Höhe trieb. Seine sinnlich rhythmischen Bewegungen formten ihren Körper zu einem Pulverfass. Hier ein Zerren, da ein stürmischer Schlag, dann eine unkontrollierte Liebkosung, wieder ein kurzes Loslassen voneinander, sogleich wieder eine Reihe rhythmisierender Wogungen, so widerspiegelte sich das Pulsieren seines Herzens im Versmass ihrer Vibrationen.
Die Phase der Zärtlichkeit war der völligen Selbstentleibung gewichen. Juan hatte es geschafft, sie wurde weich und lebte, das wofür sie Gott schuf, die pure Liebe sein.
Von den anfänglichen Streicheleinheiten konnte nun keine Rede mehr sein. In unregelmässigen Abständen stiess er ihren Körper in ruckartigen Bewegungen von sich, um sie Sekunden später in Bessenheit wieder an sich zu reissen. Schläge, Stösse, dazwischen eine erneute sinnliche Liebkosung, gefolgt vom suchtartigen Auskosten des erotischen Moments, in scheinbar unendlichen Kombinationen prasselten seine Eingebungen auf ihren Körper ein und gipfelten sich in Lichtgeschwindigkeit im Höhepunkt ihres überirdischen Zusammenspiels. Juan fand Ruhe und ein Übereinstimmung mit sich selbst, nachdem er ihr alles gegeben hatte. Alles, was hiess, er bezwang den inneren Mann in ihr, trieb sie in seine Hingabe, machte sie sein eigen.

Es folgen Sekunden des sich bewusst Werdens über das Wunder, das sie eben vollzogen hatten. Unbeirrbar verharrten sie noch immer in der gleichen Position, ähnlich einem Strom eines Flusses, der nach unzähligen Verzweigungen irgendwann zum Stillstand gezwungen wird, so sanken sie langsam in die Erkaltung des verklingenden Höhepunktes ein und liessen die letzte Schwingung bis zum unausweichlichen Ende verklingen.
Das Schöne an dieser Nacht war das Seltene in Isabellas Liebesgarten.
„Eine Blume ist schön, weil ihre Schönheit vergänglich ist, genau wie unsere Liebe“, sagte sich die Sizilianerin, als sie Juan zwei Tage später am Flughafen wieder verabschiedete. Er flog mit einem sehr still gewordenen Gustav in den Weihnachtsurlaub nach Sri Lanka, wo der Atlas der Leidenschaften das letzte Kapitel schrieb.

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