Der Fotograf, der Bettler und das Pelzchen

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Der Fotograf, der Bettler und das Pelzchen

Der Fotograf, der Bettler und das Pelzchen

Anita Isiris

  Obenrum war der Rock enganliegend, von der Hüfte an abwärts bauschte es sich neckisch bei jedem Sommerlüftchen. Das Haar trug ich in einem Pferdeschwanz gebunden, weil mir das zum Vorteil gereicht. Wippender Pferdeschwanz, wippender Hintern. So etwa.

Wir trafen uns um 14:00 Uhr bei der Heiliggeistkirche, denn es gab da tatsächlich so etwas wie einen Geist zwischen Andry und mir. Einen knisternden, pulsierenden Geist. Was Andry bei seinen Models am meisten mochte, war, wenn sie seine Anwesenheit einfach vergassen. Andry schoss nicht nur exzellente Landschaftsbilder von Bergen, Seen und weitläufigen grünen Wiesen, die es in der Schweiz in grosser Fülle gibt, sondern er fotografierte auch Mädchen und Frauen beim Ausziehen, beim Zähneputzen, beim Haarewaschen, beim Essen, beim Wasser trinken, beim Lesen und, klar, beim Vögeln. Frauen, die sich vögeln lassen, waren eins von Andry's Spezialgebieten. Mit künstlerischer Distanz ging er an die Paare ran – er fotografierte niemals entwürdigend, niemals Frauen, die ihre Schamlippen weit spreizen und mit dem Blick einer unterwürfigen Hündin in die Kamera blicken. Er fotografierte auch keine Blokes, die den Partnerinnen ihre Prügel lieblos ins Allerheiligste rammen, oder so tief in deren Schlund, dass sie mit tränennassen Augen würgen müssen. Oh nein. Andry ging dezent und mit Eleganz an sein Handwerk heran – und deshalb vertraute ich ihm.


Bis zu jenem Mittwoch hatte ich noch immer nicht herausgefunden, worauf Andry eigentlich stand. Männer? Transen? Oder war er gar asexuell? Nun ja. Vielleicht war er einfach photosexuell, was das LGBTQI Akronym um einen weiteren Buchstaben erweitern könnte. LGBTQIP. Erregung durch „richtige Perspektive suchen“, „Belichten“ und „Knipsen“. Warum eigentlich nicht? Es gibt ja sogar Menschen, die sich von Gegenständen sexuell angezogen fühlen, zum Beispiel vom Eiffelturm, vom Brandenburger Tor oder von den Hacke'schen Höfen.

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Das herzige Pelzchen

schreibt SvenSolge

Was für eine herzerfrischende Geschichte. Da ich Bern etwas kenne, konnte ich den Weg gut verfolgen. Und ganz ehrlich, ich mag "Pelzchen!"

Gedichte auf den Leib geschrieben