Der Schneeengel

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Der Schneeengel

Der Schneeengel

Jürgen Lill

“ forschte die resolute, alte Dame weiter.

„Ich bin Schriftsteller“, antwortete ich und schämte mich fast dafür, da mich der ausbleibende Erfolg in diese Situation gebracht hatte.

„Ein Künstler!“ resümierte die Dame mit jenem Unterton, in dem die Leute sich früher zugerufen haben: Schnell, holt die Wäsche rein. Die Schauspieler kommen!

„Ja“, sagte ich verlegen und zog mir unter der Decke die Hose an.

„Haben Sie keine Familie?“ horchte die Dame mich weiter aus.

Diesmal schüttelte ich nur den Kopf.

„Es ist eine Schande!“ schimpfte die Dame. „Ein Mann in Ihrem Alter, ohne Familie und ohne Beruf.“

„Ist ja gut!“ entfuhr es mir gereizt. „Ich bin ja schon weg.“

Ich warf die Decken beiseite, schlüpfte in mein Hemd und zog die Jacke darüber, ohne das Hemd vorher zugeknöpft zu haben.

„Wo wollen Sie denn hin, wenn Sie niemanden haben?“ fragte die alte Dame. Und ihr Ton klang jetzt ebenfalls gereizt.

Ich nahm es ihr übel, dass sie mir auch noch vorhielt, niemanden zu haben, der mich in dieser Situation aufgefangen hätte und warf ihr zornig zurück: „Ich werd’ schon was finden!“

Auch die alte Dame geriet in Rage.

„Das werden sie nicht!“ behauptete sie felsenfest und noch um eine Spur lauter, als ich gesprochen hatte. „Sie haben bisher nichts gefunden und werden auf der Straße erfrieren!“

„Das hätten Sie wohl gerne?“ schrie ich wütend zurück.

Die alte Dame stampfte so energisch mit dem Fuß auf, dass ich zusammenzuckte und befürchtete, sie würde durch die Dielen brechen. Dann sagte sie entschlossen, aber dabei selbst noch vor Zorn bebend: „Sie bleiben hier, bis Sie was anderes gefunden haben!“

Damit wandte sie sich ab, brachte ihren Kaffeefilter zum Komposthaufen auf der anderen Seite des Gartens und ging wieder ins Haus.

Was war das denn? fragte ich mich. Ich konnte in dem Gartenhaus bleiben? Einfach so?

Perplex stand ich noch in dem kleinen Raum, knöpfte mir mechanisch das Hemd zu und überlegte, was ich tun sollte.

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