Der Wolf in der Stadt

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Der Wolf in der Stadt

Der Wolf in der Stadt

Chloé d'Aubigné

Sie hielt sich an die Regeln, sah ihn bei jedem Satz an – und fühlte mit jedem Satz eine tiefere Verbundenheit mit ihm. Gleichzeitig merkte sie, wie auch ihre Vorurteile geringer wurden. Wolf, wie sie ihn nun auch gedanklich nannte, war nicht darauf aus, sie grundlos zu demütigen. Er prügelte sie nicht. Er wollte sie wirklich kennenlernen und ihr einen kleinen Einblick darin geben, was es heißt, gehorsam zu sein. Einen Einblick, der so dosiert war, dass er sie nicht abschreckte, sondern nur noch neugieriger machte.
Sie waren lange sitzen geblieben, länger, als sie es von einem ersten Treffen gewohnt war. Als sie schließlich auf die Straße traten, war die Luft kühl, und der Regen hatte die Pflastersteine glänzend zurückgelassen. Sie atmete tief ein, erleichtert und zugleich auf eine unsichtbare Weise erregt, die nichts mit körperlicher Nähe zu tun hatte.
„Danke für den Abend“, sagte sie. Sie wollte es leicht und unverbindlich klingen lassen – doch kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, merkte sie, dass sie den Blick gesenkt hatte, während sie sprach.
Er blieb stehen.
Langsam. Bestimmt.
Sie fühlte sofort, dass etwas nicht stimmte.
„Welche Regel hast du soeben gebrochen?“ Seine Stimme war nicht laut, aber die eiskalte Ruhe darin ließ ihr Herz sofort schneller schlagen. Sie hob den Kopf, suchte seine Augen.
„Du hast mich nicht angesehen“, stellte er fest. Kein Vorwurf, kein Ärger – nur diese unerschütterliche Klarheit.
Ihr fiel keine Ausrede ein. Sie spürte plötzlich, wie ihr Herz raste. Was, wenn er sie jetzt einfach stehenlassen würde. Oder wenn er sie jetzt, hier, auf der Straße verprügeln würde. Wie würden die Passanten reagieren, wenn er jetzt… Sie wollte den Gedanken nicht zu Ende denken.
„Du bist neu in diesem Feld. Da kann es passieren, dass Du noch Fehler machst“, fügte er nach einer kurzen Stille hinzu. „Aber entscheidend ist, ob du Verantwortung dafür übernimmst. Und mir zeigst, dass Du es wirklich bereust.“
„Und wie soll ich…?“ Sie stockte – sie wollte nicht selbst fragen, aber der Satz war schon halb draußen.

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