Der Wolf in der Stadt

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Der Wolf in der Stadt

Der Wolf in der Stadt

Chloé d'Aubigné

Wolf trat einen Schritt näher, sodass nur sie seine Worte hören konnte: „Du hast zwei Möglichkeiten. Du gehst. Verabschiedest dich und die Sache endet hier. Oder… du kniest dich jetzt vor mich, hier, auf der Straße. Du entschuldigst dich, wie es dir passend erscheint. Und du erlebst, dass eine Regel mehr sein kann als nur ein Spiel.“
In ihrem Magen zog sich alles zusammen. Der Gedanke war absurd – und doch war er da, lebendig und real. Autos rauschten vorbei, Passanten gingen an ihnen vorbei. Sie waren nicht alleine, man würde sie beide sehen, wählte sie Option Nummer zwei.
Sie wusste, dass sie jederzeit gehen konnte. Es wäre sogar vernünftig gewesen. Aber Vernunft war genau das, was sie in dieser fremden Stadt für ein Jahr hinter sich lassen wollte. Sie spürte das Zittern ihrer Knie, und dieses Zittern brachte sie tatsächlich dazu, hinunterzusinken. Erst ein Bein, dann das andere. Ihr Mantel berührte den nassen Stein.
Sie hob den Kopf zu ihm, sah ihn an. „Es tut mir leid, Wolf. Ich war nachlässig. Es wird nicht wieder vorkommen. Ich übernehme für meinen Fehler die Verantwortung und möchte Dir hiermit zeigen, dass ich ihn bereue.“
Da ihr in diesem Moment nichts Besseres einfiel, küsste sie erst seinen einen, dann seinen anderen Schuh.
Sein Blick veränderte sich. Kein Triumph, keine Überlegenheit – eher diese stille, prüfende Zufriedenheit, die sie schon zuvor in ihm bemerkt hatte. Er nickte kaum merklich, dann reichte er ihr die Hand, half ihr auf.
„Gut“, sagte er. „Du hast verstanden. Und einen interessanten Weg gewählt, Dich zu entschuldigen.“
Sie wusste in diesem Moment, dass mehr passiert war als eine Geste. Ihre Haut glühte vor Scham, aber ihr Herz schlug wie berauscht. Irgendetwas in ihr hatte eine Schwelle überschritten, die sich nicht einfach wieder schließen ließ.
Und als er sagte: „Komm mit mir“ und in Richtung eines Hotels zeigte, war es, als wäre die eigentliche Entscheidung schon längst gefallen – nur sie selbst holte sie jetzt nach.

Das Hotel lag auf der anderen Straßenseite. Ein unauffälliges Haus, mit einer stillen Lobby, in der der Teppich jeden Schritt verschluckte. Sie spürte ihre eigene Nervosität deutlicher als jemals zuvor – wie ein eng geschnallter Gürtel um ihre Brust, der sie gleichzeitig atemlos machte und lebendig.

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