Die Bank am Wanderweg

Graues Schamhaar – Teil 1

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Die Bank am Wanderweg

Die Bank am Wanderweg

Jo Diarist

„Hallo.“
Die helle, klare Stimme reißt den Mann auf der Bank aus seinen Gedanken und fast ein wenig erschrocken wendet er sich der Sprecherin in seinem Rücken zu.
„Ha…“, er muss sich räuspern, weil er sich allein wähnte. „Hallo“, gibt er zurück, als er sich gefangen hat.
„Stört es sie, wenn ich mich ein bisschen zu ihnen setzte?“, fragt die junge Frau.
Stören? Nein das tut es ihn nicht, aber verunsichern schon. Im Gegensatz zum unbefangenen Auftreten der Unbekannten lösen solche Momente immer wieder Beklemmung in ihm aus.
Frauen, vor allem in diesem Alter sieht er gerne. Sie wecken Erinnerungen an seine Jugend, doch jetzt, als frischgebackener Rentner, sind sie eher etwas, was er nur mit verdeckten Blicken aufzunehmen wagt. Es könnte belästigend wirken, was er auf keinen Fall will.
„Nur zu“, gibt er knapp zurück und rückt an den äußersten linken Rand der Bank.
‚War das ein Schmunzeln, was über ihre jugendlichen Züge huschte?‘, fragt sich Helge und kommt nicht umhin den Gesamteindruck schnell in sich aufzunehmen.
Schulterlanges dunkelblondes Haar wird ihr von der warmen Sommerluft ins Gesicht geweht.
Mit einer schnellen Kopfbewegung befreit sie ihre Augen von diesem Schleier und tapst vorsichtig über die spitzen Steine des Feldweges zur Bank.
Weil sie dabei ihren Blick nach unten richtet, wagt Helge einen intensiveren Blick.
Schlank ist sie, fast dünn könnte man sagen. Bei dieser Figur ist man geneigt, einen Teenager vor sich zu haben, doch nach ihren Gesichtszügen muss sie wenigstens in den Zwanzigern sein.
Sicher ist sich Helge jedoch nicht, weil er so etwas immer schlecht einschätzen kann. Vor allem wenn die jungen Damen so gekleidet sind, wie die Unbekannte.
Das weit geschnittene Crop Top regt seine Fantasie an.
Trägt sie einen BH, oder darf der Sommerhauch ungehindert ihre Minititten umspielen?
Auf jeden Fall streichelt er ihre zarte Bauchhaut und im Sonnenlicht blitzt der Stein vom Bauchnabelpiercing auf.
Kurze enge Jeanshosen sind das zweite Kleidungsstück, was nur das Nötigste des jungen Körpers bedeckt und gerade noch rechtzeitig beendet Helge seine Musterung, als die junge Frau sich auf der Bank niederlässt.
Er blickt auf ihre nackten Füße und bemerkt das Schmunzeln nicht, dass ihre Lippen umspielt, denn sie hat seine Blicke wohl bemerkt.
Entgegen seiner Vermutung setzt sie sich in die Mitte der Bank und nur wenig Raum bleibt zwischen ihnen. Helge ist geneigt, sich mit einer Entschuldigung zu erheben und den Heimweg anzutreten. Es würde allerdings ein bisschen seltsam wirken, nachdem er gerade erst zur Seite gerückt ist und so entschließt er sich noch ein paar Augenblicke zu bleiben, bevor er die Flucht ergreift.
Seine Augen ruhen immer noch auf ihren feingliedrigen Füßen und er fragt sich, warum sie die Sandalen in der Hand trägt, obwohl sie der steinige Weg, zu vorsichtigen Schritten zwingt.
„Es ist gut für den Rücken barfuß zu gehen und meist kann ich im Gras vom Wegesrand laufen“, sagt sie, als hätte sie seine Gedanken gelesen.
Verwundert blickt Helge hoch und genau in ihre freundlichen, fast ein wenig spöttisch blitzenden, Augen.
„Ich laufe gerne am Morgen barfuß durchs taunasse Gras. Da fühle ich mich der Natur näher und kann den Alltagstrott von mir abstreifen“, fährt sie fort und hält seinen Blick gefangen.
Verwirrt von der Offenheit, die sie ihm als Fremden entgegenbringt, braucht Helge einen Moment, bevor er antworten kann:
„Als Kind habe ich das auch gerne gemacht. An den Waldrändern, wo oft Feen-Gras stand, war das besonders schön. Fast so, als wollten die zarten Halme die Füße streicheln“, gab er versonnen zurück und lächelt in sich hinein bei den Erinnerungen an seine unbeschwerte Kindheit.
Der Blickkontakt ist dabei abgerissen und für kurze Zeit ist Helge in längst vergangenen Zeiten gefangen. Er erinnert sich an seine Teenagerzeit. An die Phase, als er frischverliebt mit seiner späteren Frau, in solchem Gras lag und nur unterbrochen von heißen Küssen, über ihre gemeinsame Zukunft fantasierte.
Sie hatte damals auch solche Minititten gehabt, doch die waren gut verpackt. Solch freizügige Kleidung gab es in seiner Jugend noch nicht.
Ihn hatte es nicht gehindert, seine Hand unter das Shirt wandern zu lassen und den BH hochzuschieben. Mit Schnurren und wildem Schmusen hatte seine zukünftige, dieses fordernde Unterwandern quittiert.
Wie würde das wohl bei der jungen Frau sein, die jetzt neben ihm sitzt?
‚Idiot!‘, schimpft er sich innerlich und wechselt leicht die Farbe, obwohl die Unbekannte seine Gedanken ja nicht lesen kann.
Der Banknachbarin ist sein Minenspiel nicht entgangen, und auch wenn sie es nicht sicher weiß, ihre Vermutungen gehen in die richtige Richtung. Von dem Moment an, als er zur Seite rückte, um ihr Raum auf der Bank zu geben, war er ihr sympathisch. Er würde sie nicht belästigen, dessen ist sie sich sicher und irgendwie umgibt ihn eine traurige Aura. Etwas scheint diesen Mann der Welt zu entfremden und solche Menschen ziehen sie magisch an, das weiß sie aufgrund ihrer derzeitigen Beziehung.
Ist der Faden abgerissen, den sie als Gesprächsgrundlage nutzen wollte? Der Mann neben ihr scheint sich einzukapseln und für den Moment weiß sie nicht, wie sie ein unbefangenes Gespräch weiterführen soll.
Nach einer Möglichkeit suchend lässt sie ihren Blick schweifen und entdeckt die Gruppe Wildtiere, die aus dem Wald tretend auf der Wiese frisches Gras fressen.
„Sind das Mufflons?“, fragt sie flüsternd und rückt ganz eng an ihn heran.
Helges Herzschlag stockt. Er spürt ihre Schenkel an seinem Bein. Ihre Hand auf seinem Arm und die Wärme ihres Gesichts an seiner Wange.
Ausweichen kann er nicht, ohne dass es nach Flucht aussieht und für endlos scheinende Sekunden entsteht ein Vakuum in seinem Kopf.
„Ja“, krächzt er, holt tief Luft und fügt ebenfalls flüstern hinzu: „Es ist eine kleine Herde, die sich hier angesiedelt hat. Vorhin waren sie noch näher am Weg, aber eine Frau mit Hund kam ihnen zu nahe und sie sind weiter vom Weg abgerückt.“
Die Unbekannte rückt aber nicht wieder von ihm ab, nur ihre Hand zieht sie fast streichelnd von seinem Arm weg.
‚Warum macht sie das?‘, fragt sich Helge und alles in ihm ist in Aufruhr.
Das Gespräch reist nicht wieder ab, doch Helge nimmt kaum etwas vom Inhalt auf. Zu sehr verunsichert ihn der Körperkontakt.
Alles in ihm drängt zur Flucht und doch ist es so schön, diese Nähe zu fühlen. Es wirkt vertraut, aber auch beängstigend. Was geschieht hier nur?
Helge gelingt es nicht diese Gedanken weiter zu vertiefen, denn die junge Frau hat ihn in einen Dialog gezogen, dem er nicht entrinnen kann. Ehe er sich dessen richtig bewusstwird, hat er viel Persönliches von sich preisgegeben. Die Unbekannte weiß jetzt, dass er allein lebt, weil ihn seine Frau nach siebenundzwanzig Ehejahren verlassen hat.
Sie wollte sich neu orientieren, weil ihre gemeinsame Basis weggebrochen war, hat sie gesagt. Damals hat er es nicht verstanden, später erkannt, dass es seine Schuld war. Er hat mit und für seine Arbeit gelebt, was seiner Frau keinen Raum mehr ließ.
Statt aus seinen Fehlern zu lernen, wurde er zum Einzelgänger, der sich noch mehr in seiner Arbeit verlor. Er hielt alle auf Abstand und erst mit Eintritt in die Rente, wurde ihm das richtig bewusst.
Plötzlich seines Lebensinhalts beraubt, begann Helge einiges zu reflektieren, doch zu spät, um noch mal neu anzufangen. Seinen Job, in dem er fünfundvierzig Jahre ununterbrochen tätig war, hat ein jüngerer übernommen. Helge konnte nicht mehr mithalten, unter dem Druck, der neuerdings herrscht. Er wollte es auch irgendwann nicht mehr versuchen, denn es fehlte dieses Familiäre, was ihm alles gegeben hat.
All das verriet er, ohne sich dessen richtig bewusst zu werden. Es wirkte befreiend darüber zu sprechen und erzeugte umgehend eine gewisse Leere, als sich die Unbekannte erhob.
„Ich muss jetzt weiter, sehen wir uns morgen wieder?“, fragt sie und sucht den Blickkontakt.
Helge steht immer noch neben sich und nickt nur.
„Um die gleiche Zeit, hier auf der Bank?“
Wieder nur ein unsicheres Nicken.
Die Sandalen in der Hand, tapst die Unbekannte zurück auf den Weg.
„Bis morgen“, verabschiedet sie sich unter einem fröhlichen Lächeln.

Eine halbe Stunde später sitzt Helge immer noch auf der Bank und versucht zu realisieren, was geschehen war. Vielleicht war das alles nur ein Tagtraum sinniert er und tritt den Heimweg an.

Der nächste Morgen findet ihn am gleichen Fleck. Auch wenn es nur ein Traum war, vielleicht kann er ihn ja weiterträumen, sagt er sich und ist schon weit vor der vereinbarten Zeit vor Ort.
Es bleibt keine Illusion. Auch dieser Tag bringt die Unbekannte und einen regen Austausch.
Also, von seiner Seite her. Von ihr weiß er am Ende noch nicht einmal den Namen.

So auch am dritten Tag. Und wieder rückt die Unbekannte dicht an ihn heran. Diesmal legt sie sogar ihre Hand auf seinen Oberschenkel und streichelt ihn zart.
Helges Verunsicherung steigert sich enorm, und auch wenn er diese Berührungen genießt, kann er nichts von all dem einordnen. Warum er? Weshalb geht diese junge Frau so vertraut mit ihm um?
Sie ist sich offensichtlich der Wirkung ihrer Handlungen bewusst, das kann er gut in ihren Blicken ablesen.
Seine inneren Ängste raten ihm zu fliehen. Der Verstand fordert ihn auf, sie um Aufklärung zu bitten. Das geschmeichelte Ego will nur genießen. Schon lange hat er sich innerlich nicht so befreit gefühlt.
Sein Atem stockt, als sich die zarte Hand am Hosenbund zu schaffen macht.
Sie blickt zum Waldrand dabei und plaudert über Belangloses.
Als hätte die Hand ein Eigenleben, schiebt sie sich in die Hose von Helge, der es wie gelähmt geschehen lässt.
Sinnlich wühlen die Finger im Schamhaar.
„Ist das grau?“, fragt sie und blickt ihm offen in die Augen.
Helge japst nach Luft wie ein Ertrinkender. Die Gesichtsfarbe gleicht der einer reifen Tomate und mit krächzender Stimme antwortet er:
„Entschuldigung, ich habe nie einen Grund gehabt, mich dort zu rasieren.“
Ihr helles Lachen entspannt die Situation.
„Es wäre auch sehr schade, wenn du es gemacht hättest. Ich stehe nämlich auf graues Schamhaar, deshalb die Frage.“
‚Wann ist sie eigentlich zum Du übergegangen?‘, fragt er sich, gibt ihr aber die gewünschte Antwort.
„Ja, es ist so grau wie mein Kopfhaar.“

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