Ich stehe auf, stelle meine Tasse in die Spüle und werfe Saskia einen letzten Blick zu. „Manchmal hilft es, einfach tief durchzuatmen“, sage ich. „Und sich daran zu erinnern, dass manche Dinge nicht so wichtig sind, wie sie scheinen.“
Sie nickt, als hätte ich ihr eine große Weisheit verraten.
Ich gehe hinaus auf den Flur, lasse die Tür hinter mir ins Schloss fallen. Mein Herz schlägt einen Takt schneller, da ich nun wieder an das Treffen mit Herrn Albrecht denke. An die Art, wie er mich angesehen hat. An die sanften Berührungen seiner Hand auf meinem Rücken, an sein leises Lachen, als ich ihm etwas ins Ohr geflüstert habe, das nur für ihn bestimmt war.
Denn ich hörte bereits am Tag nach dem Elternsprechtag von ihm – schneller als ich es ihm zugetraut hatte. Und so schnell, dass ich von ihm durchaus beeindruckt war.
Nach Schulschluss blieb ich, wie üblich, noch im Klassenraum, sortierte Arbeitsblätter, schob Stühle zurecht und beendete für mich in aller Ruhe den Arbeitstag. Ich genoss die Stille, das Echo meiner Schritte auf dem Linoleumboden. Draußen auf dem Hof hörte ich Stimmen, das Quietschen von Fahrrädern, das Klacken von Absätzen. An jenem Tag merkte ich aber auch, dass ich wartete, ohne zu wissen, worauf. Vielleicht auf eine Nachricht, vielleicht auf ein Zeichen.
Mein Handy vibrierte, als hätte es meine Gedanken erraten. Eine kurze Nachricht:
Bin in zehn Minuten am Parkplatz. Hätten Sie Zeit für einen Kaffee?
Kein Name, keine Anrede. Aber ich wusste sofort, von wem sie war.
Ich antwortete knapp, fast geschäftsmäßig:
Ja, in zehn Minuten.
Als ich auf dem Parkplatz ankam, lehnte er an seinem Wagen, die Hände in den Taschen, den Blick auf den Himmel gerichtet. Er sah ein wenig aus, als wollte er einen Hollywood-Star imitieren, der beim Warten möglichst cool wirken muss. Aber er sah auch jünger aus als sonst, irgendwie gelöster, als hätte er für einen Moment vergessen, wer er zu Hause ist. Ja, ohne seine Frau, die sonst wie ein drohender Schatten über ihm gehangen war und mit ihren Launen die Atmosphäre bestimmt hatte, wirkte er ganz anders. Seine Haltung war selbstbewusster, die dunklen Haare fielen ihm leicht in die Stirn.
Die Kunst, ruhig zu bleiben
22 8-13 Minuten 1 Kommentar

Die Kunst, ruhig zu bleiben
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Dezent und reizend
schreibt jostein