„Wie schaffst du es eigentlich immer, so ruhig zu bleiben?“
Saskia lehnt sich mit ihrem Kaffeebecher an die Fensterbank im Lehrerzimmer und mustert mich mit dieser Mischung aus Bewunderung und Neugier, die ich bei ihr noch nicht allzu oft gesehen habe. „Ich meine, das Gespräch gestern mit Frau Albrecht… Ich hätte an deiner Stelle spätestens nach zehn Minuten die Nerven verloren. Aber du? Du bleibst da einfach gelassen. Beeindruckend.“
Ich lächle und zucke mit den Schultern, nehme einen Schluck von meinem Tee. „Man gewöhnt sich an alles. Und manche Dinge sind es einfach nicht wert, sich aufzuregen. Und eigentlich ist sie eine arme Mutter mit einem Kind, von dem sie sich terrorisieren lässt.“
Saskia grinst, als hätte sie eine Verschwörung aufgedeckt. „Das ist alles? Komm, da steckt doch noch mehr dahinter. Du musst mir mal dein Geheimnis verraten.“
Ich winke ab, spiele die Unnahbare. „Ach, da gibt es kein Geheimnis. Nur Erfahrung. Und eine gute Portion Gleichmut. Ich lasse das einfach nicht an mich ran.“
In Wahrheit ist es jedoch ganz anders. Ich bin nicht ruhig, weil ich so abgeklärt bin. Ich bin ruhig, weil ich längst meinen eigenen Weg gefunden habe, mit Menschen wie Frau Albrecht umzugehen. Ihre ständigen Beschwerden, ihre unterschwelligen Vorwürfe, ihre passiv-aggressive Art – all das prallt an mir ab. Egal, was sie zu mir sagt, ich fühle mich nicht attackiert. Ich fühle mich überlegen. Und auch irgendwie zufrieden. Wie es dazu gekommen ist?
Das mit den Albrechts begann an einem Abend vor drei Wochen, als ich nach einem langen Elternsprechtag noch im Lehrerzimmer saß, die letzten Notizen sortierte und die Lichter schon halb gelöscht waren. Da stand er plötzlich in der Tür: Herr Albrecht.
Er wollte sich für das Gespräch, insbesondere für das Verhalten seiner Frau entschuldigen. Bei diesem Gespräch war er übrigens auch anwesend gewesen. Erst war er nicht zu Wort gekommen, um dann für einen Beschwichtigungsversuch zurückgewiesen zu werden, was ihn dann gänzlich verstummen ließ. Somit saß er den Großteil der Zeit mit beschämtem Blick neben seiner Frau, wobei offenblieb, er sich über ihre Wutausbrüche im Allgemeinen oder über die Zurechtweisung durch sie schämte.
Die Kunst, ruhig zu bleiben
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