„Im Wagen vor mir fährt ein junges Mädchen.“ Das Radio dudelt leise: „Rada rada radadada. Sie fährt allein und sie scheint hübsch zu sein.“ Er schaut genau hin. Im Wagen vor ihm fährt tatsächlich ein junges Mädchen. Warum fällt ihm das erst jetzt auf? „Er weiß nicht ihren Namen und er kennt auch nicht ihr Ziel. Er merkt jetzt nur, sie fährt mit viel Gefühl.“ Er muss schmunzeln. Ist das ein Zeichen? Er ist ganz bei dem Lied, nimmt es in sich auf.
Es ist einer dieser schwülheißen Sommertage. Gewitter liegt in der Luft. Die Natur atmet eine knisternde Spannung. Im Cabrio erlebt er sie hautnah, erlebt die emporschießenden Wolkengebirge und die Stille darunter. Ein gleißender Blitz holt ihn in die Wirklichkeit zurück. Am Himmel bilden sich in atemberaubendem Tempo riesige Wolken. Wie ein Gebirge schießen sie weiß in den Himmel, während sie unten immer dunkler und schwerer werden. Wind braust auf. Ein ohrenbetäubender Donner öffnet die Wolken, dicke Regentropfen prasseln daraus hernieder.
Das junge, hübsche Mädchen hat eine Möglichkeit zum Anhalten gefunden. Er sieht eine Frau aus dem Wagen springen und auf die Scheune gegenüber dem Straßengraben zulaufen. Ein erstes Grollen verliert sich in der Ferne. Vereinzelt zucken Blitze quer durch die dunklen Wolken. Das Cabrio-Verdeck hatte er bereits geschlossen. Hinter ihrem Wagen anzuhalten und ebenfalls die schützende Scheune aufzusuchen, war ein einziger Reflex.
Er läuft ihr nach, erreicht kurz nach ihr klitschnass die Scheune. Das schwere Tor steht noch einen Spalt breit offen. Ein Duft nach Heu und eingesperrter, staubiger Sonnenwärme empfängt ihn. Er sieht sich um. Gedämpftes Streifenlicht schimmert durch die Wandbretter. Ein paar verstaubte Stützbalken, ein paar alte Gerätschaften. Über einem Querbalken hängen Seile, die sich im Luftzug schwingend bewegen. Eine Leiter lehnt am Aufstieg zum Heuboden.
Die Leiter
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Die Leiter
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