„Sie zuerst“, sagte sie. 
„Bitte nach Ihnen“, sagte ich.
„Ich habe so etwas … schon lange nicht mehr gehabt.“ Sie brach ab und ihre Lippen zuckten. Dann riss sie sich zusammen: „Verzeihung, Du wolltest etwas sagen?“
Im Gang ertönten Schritte. Wagner kehrte zurück. Sie huschte zurück auf ihren Platz. 
„Wir reden später“, stieß ich hervor wie jemand, der lange unter Wasser war und nun wieder frei atmen kann. 
Gleich darauf trat Wagner ein: „Ich bitte um Nachsicht. Es ist nicht meine Art, während einer Besprechung Telefonate anzunehmen. Es war …, also meine Frau. Man bittet mich, zu kommen.“
Frau Dubois sagte: „Ich denke, ich spreche auch für Herrn Anders. Es gibt viele Dinge, die wichtiger sind als Gedichte. Da gehört die Sorge um ein Familienmitglied sicher dazu.“ Dabei ruhte ihr Blick auf mir und ich beeilte mich, ihr zuzustimmen. „Was immer ihre Frau bekümmert, wir wünschen ihr alles Gute.“
Flap. 21.16 Uhr.
Wagners Blick flog zwischen uns hin und her. „Danke für Ihr Verständnis. Es war das Krankenhaus. Ich werde gleich hinfahren. Zu ihrem Werk kann man Ihnen nur gratulieren, Frau Dubois. Wir freuen uns, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind.“ Er zog seinen Kalender heran. „Wenn Sie keine Einwände haben, Herr Anders, werden wir die Gedichte nächsten Monat auf die Tagesordnung der Redaktionskonferenz setzen. Herr Anders wird Sie über unsere Entscheidung informieren. Vorausgesetzt, die Kollegen stimmen zu, bekommen wir es hin, dass die Kalkulation ca. zwei bis drei Wochen später steht, so dass wir Ihnen ein Angebot schicken können. Soweit d`accord?“
Eine dunkle Röte überflog ihre Wangen. „Ihr Angebot freut mich und ich stimme gerne zu.“ 
Wagner erhob sich, reichte ihr über den Tisch hinweg seine Hand und erklärte: „Bei Fragen, wenden Sie sich an Herrn Anders. Und nun entschuldigen Sie mich, dass ich unser Gespräch so abrupt verlasse und Ihr Angebot für einen Dispens annehme. Wir werden ein anderes Mal Gelegenheit haben, einander besser kennenzulernen. Unser Haus legt Wert auf ein gutes Miteinander, auch und vor allem mit den Autoren natürlich.“ Er wandte sich an mich. „Herr Anders, ich verlasse mich darauf, dass Sie Frau Dubois wohlbehalten in ihrem Hotel abliefern.“
Die Lyrikerin
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