Die Lyrikerin

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Die Lyrikerin

Die Lyrikerin

Tom Parker

Bevor ich antworten konnte, holte sie Luft, sagte aber nichts
„Ja?!“, wandte sich Wagner an sie.
„Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass ich Ihre Fürsorge zu schätzen weiß.“
Wagner lächelte: „Aber …?“
„Ich wollte Ihnen eigentlich erzählen, dass ich schon ein großes Mädchen bin, schon mein Hotel finden kann usw., aber nachdem unser Gespräch so gut und angenehm verlaufen ist, nehme ich Ihr Angebot gerne an.“
Wagner lächelte. „Schön, dann wäre das geklärt.“ Er packte seine Mappe und stürmte zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um. „Einen schönen Abend Ihnen beiden.“
Flap.
Gemeinsam schlossen wir das Fenster und räumten einige Teetassen in den Raum, der früher als Teeküche gedient hatte und jetzt so leer war, dass unsere Schritte unnatürlich laut klangen. Sie sagte: „Bitte versteh` mich nicht falsch, aber denkst Du, dass der Verlag in der Verfassung ist, mir ein Honorar zu zahlen?“
„Du findest die leeren Büros und den Mangel an Leben in diesem Gebäude nicht vertrauenerweckend.“
„Gemessen am Zustand dieses Gebäudes, liegt euer Verlag auf dem Sterbebett.“
„Nun, die Zeiten sind schwierig für Lyrik. Aber wenn unser Seniorchef dich eingeladen hat, dann sicher nicht, weil er plaudern wollte. Ihm ist es wichtig, dass wir immer auch etwas riskieren in unserem Programm. Und dieses Jahr…“
„…bin ich das Risiko.“
„Nun, so schlimm ist es nicht. Es gibt Leser, die Lyrik schätzen. Die Kunst besteht darin, deine Gedichte mit diesen Menschen zusammenzubringen.“
Sie sah mich fragend an und ich beeilte mich, auf den Punkt zu kommen.
„Mit dem Totenbett liegst Du allerdings nicht gänzlich falsch.“
Flap.
Sie machte eine unwillkürliche Bewegung. „Dachte ich mir.“
„Nun, was das Gebäude hier betrifft; es soll abgerissen werden. Wenn Du den Neubau in der Teutonenstraße siehst, wirst Du zuversichtlicher sein, was die ökonomische Lage betrifft.  Unter uns gesagt, ist der Neubau nur zu einem verschwindend geringen Teil kreditfinanziert. Mach‘ dir also in dieser Hinsicht keine Sorgen. Außerdem herrscht im Haus die Meinung, dass wir ohne unsere Autorinnen und Autoren wohl kaum Erfolg hätten. Von daher kannst Du sicher sein, dass wir nicht nur über Zahlungen reden, sondern sie auch zuverlässig leisten.“

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Gedichte auf den Leib geschrieben