Ich stotterte: „N-n-n-nicht, und weißt Du warum?“
Sie hob die Augenbrauen.
„Ich bin gerade dabei, mich zu verlieben in eine Frau, die auch im Zug ist. Deshalb hoffe ich, dass Du es mir nicht übelnimmst, wenn ich nicht so …, wie Du das gewohnt bist.“
Doch schon hatte sie es geschafft, eine Beule in meiner Hose zu produzieren.
Sie hob den Blick von meiner Mitte und grinste: „Wenn ich nicht reagiere. War es das, was Du sagen wolltest?“
„Wollte ich, aber wie Du siehst, is‘ es Essig.“
Sie rückte von mir ab. „Meine Schuld. Ich probier‘ was geht. Is‘ ‘ne Macke von mir.“
„Naja, vielleicht findest du es gut, wenn ein Kerl auf dich reagiert.“
Sie legte den Kopf in den Nacken und stöhnte: „Oh nein, Du bist Psychologe?“
Ich schüttelte den Kopf.
„O.K. Ich brauche einfach einen Kerl. Da sind ältere so um die dreißig besser als junge, aber keine Angst, Verliebte lass´ ich in Ruhe.“
„Gut zu wissen. Ich heiße Anders. Tom Anders.“
„Luise“
„Ist das dein richtiger Name?
„Nein, aber er tut ‘s.“
„Ich glaube, du bist eine ausgeschlafene Luise.“
„Hey, Zucker is` für Affen. Klar?!“
„War aber ernst gemeint.“
Der Zug fuhr jetzt langsamer und ich sah auf die Uhr.
„Is‘ er pünktlich?“
Sie lächelte über meinen Kopf hinweg.
Ich begriff, dass es nichts mehr zu sagen gab.
Als die Sardinenbüchse uns mit einem Schwall dicker Luft in den Bahnhof entließ, trotteten wir auf dem Bahnsteig einige Schritte nebeneinander und wurden von Igelspitz mit einer Armbewegung unsanft zur Seite gedrängt. Luise schenkte mir einen müden Blick, dann wurde sie von der Menge der Reisenden verschluckt.
Geraldine wartete in der Halle auf mich. Sie betrachtete mich von Kopf bis Fuß, als sähe sie mich zum ersten Mal. „Alles gut überstanden?“
„Wieso?“
„Du siehst zerknittert und etwas aufgebracht aus.“
„Reisebekanntschaft.“
„Oh, und ich dachte schon, er steht dir wegen mir.“
Ich zuckte zusammen, zog mir die Jacke aus, nahm sie über den Arm.
Sie nickte, kam näher, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste mich auf die Nase. „Jetzt sieht man nichts mehr. Und bis zum Hotel will ich haarklein wissen, was dich so in Fahrt gebracht hat.“
Die Lyrikerin
22 10-16 Minuten 0 Kommentare
Die Lyrikerin
Zugriffe gesamt: 3124
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.